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Afrikanische Kulturen und Globalisierung: Ein Aufruf zum Widerstand

Die Weltkonferenz über Erziehung für alle, die im März 1990 unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen und vor allem der UNESCO, des UNDP, der UNICEF und der Weltbank in Jomtien in Thailand stattfand, hat die Bedeutung dieses Ziels klar herausgestellt. Leider muß man konstatieren, daß sehr viele unserer Staaten, die an diesem Weltforum mehr oder weniger aktiv teilgenommen haben, nur ein Lippenbekenntnis zu der Weltdeklaration und dem damals verabschiedeten Aktionsplan abgelegt haben. Sie haben es bis heute nicht für nötig befunden, die zu ihrer Umsetzung erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen.

Der Gebrauch der lokalen Sprachen als Unterrichtssprachen ist ganz offensichtlich eine der unumgänglichen Bedingungen für eine Verallgemeinerung der Erziehung, für ihre maximale Verbreitung in einem Minimum an Zeit. Eine solche Politik kann allerdings nicht improvisiert werden. Damit der Unterricht in den lokalen Sprachen nicht zu einer Ausbildung auf dem geringsten Niveau wird, damit er nicht ein Schrumpfen des Horizonts, sondern dessen Erweiterung bewirkt, ist es erforderlich, daß er einen ebenso soliden und bildenden Inhalt besitzt wie die Ausbildung in den entlehnten Sprachen.

Wir brauchen daher gute Materialien für die Postalphabetisierungsphase, die nicht nur auf die Neuleser, sondern auch auf die gehobenen Ausbildungsstufen abgestimmt sind. Wir brauchen anspruchsvolle Handbücher und Nachschlagewerke in ausreichenden Mengen, die von den interessierten Schülern und Studenten benutzt werden können; und wir brauchen, das versteht sich von selbst, gute Lehrer. Wir müssen eine Politik der Publikation in den afrikanischen Sprachen durchsetzen, wir müssen Schritt für Schritt eine Literatur und eine wissenschaftliche Produktion auf höchstem Niveau entfalten, ein intellektuelles Ambiente, das der Kreativität förderlich ist.

Gewiß, das ist ein hoher Anspruch. Aber wenn man in eine solche Politik nur einen Bruchteil der immensen Summen investiert hätte, die man seit mehr als einem Jahrhundert in dem widernatürlichen System vergeudete, das noch heute vorherrscht, so wären die Resultate unvergleichlich viel besser gewesen. Um so wichtiger wäre es, jetzt endlich damit zu beginnen.

Parallel zu einer Aufwertung der lokalen Sprachen, die einen massiven und raschen Transfer von Kenntnissen ermöglichen würde, müssen wir darauf bedacht sein, das Bedürfnis der Bevölkerung nach Öffnung und Kommunikation zu befriedigen. Man kann hierbei in konzentrischen Kreisen fortschreiten: Zunächst würde man in jedem Land, neben dem Unterricht in den lokalen Sprachen, das Erlernen der anderen Verkehrssprachen des Landes fördern, dann den Erwerb einiger großer Sprachen derTeilregion und der Region; und schließlich, und erst dann, wäre das Erlernen des Französischen und/oder Englischen, des Deutschen und anderer nichtafrikanischer Sprachen zu fördern.

Auf diese Weise würden die kleinen Gun oder Fon aus dem südlichen Benin in der Schule nicht nur in Gun oder Fon unterrichtet werden, sondern daneben auch Yoruba und eine oder zwei andere der Verkehrssprachen Benins wie Dendi oder Baatonu erlernen, und vielleicht außerdem noch andere große afrikanische Sprachen. Dann, und nur dann, sollten sie die großen europäischen Sprachen sowie, je nach Interesse, Sprachen Asiens oder des Nahen Ostens wie Arabisch, Chinesisch oder Japanisch lernen.

Auf diese Weise würde man eine Politik der Öffnung praktizieren, die sich auf die Aufwertung, nicht auf den Ausschluß der afrikanischen Sprachen stützt, die die unabdingbaren Hilfsmittel einer guten Erziehung in Afrika sind. Die Öffnung zur Welt, dieses Aufbrechen der geistigen Isolation, für das die Kinder Sowetos unter Einsatz ihres Lebens gekämpft haben, kommt nur zustande, wenn man von seinem eigenen Erbe ausgeht. Jeder andere Weg kann nur zur Selbstverleugnung und zum kollektiven Scheitern führen, kurzum in eine Sackpasse.

Die Verbreitung des Wissens

1. Eine Wissenschaft an der Peripherie

Ebenso wie die sprachliche Abhängigkeit ist die wissenschaftliche und technologische Abhängigkeit unserer Länder von unübersehbarer, massiver Evidenz, obwohl sie häufig nicht bemerkt wird.

Unsere Forscher tragen in unterschiedlichem Ausmaß, je nach ihrer Disziplin und ihren Fähigkeiten, zum Fortschritt der Wissenschaften bei, ohne sich die Frage zu stellen, welcher Gebrauch von ihren Erkenntnissen gemacht wird: ob und in welchem Maße diese Ergebnisse der Bevölkerung ihrer eigenen Länder zugute kommen oder ob es im Gegenteil vor allem andere Länder sind, die Nutzen daraus ziehen; wie heute mit dem angehäuften wissenschaftlichen und technischen Wissen der Welt umgegangen wird, und wie in diesem Rahmen die Früchte ihrer intellektuellen Arbeit bewertet werden; welchen Platz Afrika in der Welt der wissenschaftlichen und technischen Produktion einnimmt, und welchen in den internationalen Austauschbeziehungen, die damit einhergehen; welche Strategien schließlich geeignet wären, ihrer Abhängigkeit in diesen Beziehungen ein Ende zu setzen.

Da ich mich hier nicht auf Details einlassen kann, begnüge ich mich damit, auf Analysen hinzuweisen, die an anderer Stelle vorgelegt worden sind. Die wissenschaftliche Forschung in den Entwicklungsländern nimmt im Vergleich zu der Forschung in den Zentralen eine ebenso periphere Stellung ein wie ihre ökonomischen Aktivitäten im Vergleich zur industriellen Produktion in den westlichen Metropolen. Die Parallelität zeigt, mittels welcher Mechanismen in diesem Bereich eine spezifische Form der Außenorientierung erzeugt und aufrechterhalten wird, deren dauerhafteste Wirkung darin besteht, alle an der Peripherie erzeugten Kenntnisse dem Zentrum zuzuführen und sie dessen Kontrolle und Verwertung zu unterwerfen. Dies gilt sogar für das sogenannte traditionelle Wissen, das dank der Aktivitäten der Ethnobotanik, der Ethnozoologie und anderer Formen von "ethnoscience" dem weltweiten Wissensfundus zugeführt, assimiliert und von ihm vereinnahmt wird, nur um wiederum durch den Norden verwaltet und kontrolliert zu werden (Hountondji, 1978, 1988,1994,1997a, 1997b; Morazé, 1980; Taiwo, 1993).

2. Die Aneignung des Wissens

Man wird es unter diesen Umständen begreiflich finden, daß eine Lösung der aktuellen Probleme nicht einfach in einer Erhöhung der Mittel, die für die wissenschaftliche Forschung bereitgestellt werden, liegen kann oder, allgemeiner ausgedrückt, in einer quantitativen Verstärkung des wissenschaftlichen Potentials der Entwicklungsländer.

Die internationale Gemeinschaft hat sich oft die Frage vorgelegt, wie man Wissenschaft und Technik in den Dienst der Entwicklung stellen kann. Bereits vor 18 Jahren wurde eine internationale Konferenz zu diesem Thema einberufen: die UN­Konferenz über Wissenschaff und Technik im Dienste der Entwicklung, die im August 1979 in Wien stattfand. Die Weltbank hat jüngst gleichfalls die Initiative zu einer internationalen Konferenz ergriffen, die sich vom 23. bis 25. Juni 1997 in Toronto mit dem "weltweiten Wissen" befaßt hat (" Le Savoir Mondial 97").

Man wird gewiß in Toronto sehr viel gesprochen haben, so wie man es auch in Jomtien 1990 und in Wien 1979 getan hat. Man wird subtile Analysen und präzise Diagnosen der aktuellen Situation vorgetragen haben. Eine Frage bleibt jedoch bestehen: Wird man die Notwendigkeit erkennen, die weltweiten wissenschaftlichen Beziehungen qualitativ zu verändern? Wird man das strukturelle Ungleichgewicht erkennen, das heute an der Peripherie des Weltmarktes die effektive Aneignung des bestehenden Wissens verhindert und seine verantwortungsbewußte Anwendung zur Uberwindung der gemeinsamen Probleme unmöglich macht?

Was tun?

Kommen wir zum Schluß. lch habe hier die Sprach­ und Wissenschaftspolitik nur als Beispiele angeführt. lch wollte an diesen Beispielen die Notwendigkeit aufzeigen, auf einige simple Einsichten und elementare Werte zurückzukommen, die während des Kampfes gegen die koloniale Unterdrückung als selbstverständlich galten, die aber heute im Begriff sind zu verschwinden.

Der Nationalismus liegt in den letzten Zügen. Der Anspruch auf eine kollektive Identität, der Wille zu einem eigenen Selbst, die Forderung nach Souveränität, die einmal einen kraftvollen Impuls zum Handeln darstellte und zugleich einen bedeutenden Faktor des nationalen Zusammenhalts, rufen heute nicht mehr dasselbe Echo im Bewußtsein einer wachsenden Zahl der Jüngeren hervor.

Die Sprache des Marktes herrscht überall, mit ihrem Geruch eines vage definierten Globalismus, derdie Nationen nur noch an der Elle ihrer relativen Bedeutung im internationalen Handel mißt. Die Idee der Souveränität selbst erscheint überholt. Sie hat kaum noch Gewicht angesichts der Vorschriften von Weltbank und Internationalem Währungsfonds. Die Entscheidungsträger auf nationaler Ebene werden zu bloßen Statisten, schlimmer, sie empfinden bei dieser Rolle offensichtlich weder Scham noch schlechtes Gewissen. Die wirklichen Entscheidungsträger sitzen anderswo: in Washington und in den großen westlichen Hauptstädten.

Noch vor sechzig Jahren mußten wir uns der entgegengesetzten Gefahr stellen: der eines krankhaften Rückzugs auf uns selbst; Césaire nannte dies mit einem starken Bild die "Einmauerung im Partikularen". Was uns dagegen heute bedroht, ist die "Auflösung im Universellen".

Nicht ohne Grund hat man Senghor vorgeworfen, uns in einer imaginären Négritude einschließen zu wollen. Was man heute hingegen fürchten muß, ist, daß wir als Afrikaner jedes Streben nach Eigenem, jeden kollektiven Anspruch aufgeben; daß wir schlichtweg zu existieren aufhören, um der Welt den Vorrang zu geben.

Wenn wir nicht in diesem Zustand enden wollen, dann müssen wir eine andere Form der Globalisierung durchsetzen als die gegenwärtig dominierende; eine Globalisierung, die sich nicht reduziert auf ein einziges Zentrum, das sein Gesetz den vielfältigen Peripherien diktiert, sondern die eine Vielzahl von Entscheidungszentren in sich enthält, die untereinander, von gleich zu gleich, darüber verhandeln, was getan werden muß, um eine humanere Welt zu errichten.

Literatur

Calvet, Louis Jean (1971): Linguistique et colonialisme: Petit traité de glottophagie. Paris, Payot

Césaire, Aimé (1956): Lettre à Maurice Thorez. Paris

Diop, Cheikh Anta (1954): Nations nègres et culture. Paris, Présence africaine

Houis, Maurice (1971): Anthropologie linguistique de l'Afrique noire. Paris, Presses Universitaires de France

Hountondji, Paulin J. (1978): Recherche théorique africaine et contrat de solidarité, in: Travail et société (Genève),111,3­4: 353­364

Hountondji, Paulin J. (1988): L'appropriation collective du savoir: Tâches nouvelles pour une politique scientitique, in: Genève­Afrique (Genève), XXVI,1: 49­66

Hountondji, Paulin J. (dir. publ.) (1994): Les savoirs endogènes: Pistes pour une recherche. Dakar/Paris, Codesria/Karthala

Hountondji, Paulin J. (1996): De Jomtien à Beijing: Etude sur le suivi des conférences internationales au Bénin (1990­1995). Cotonou, PNUD

Hountondji, Paulin J. (1997a): Combats pour le sees: Un itinéraire africain. Cotonou, Flamboyant

Hountondji, Paulin J. (ed.) (1 997b): Endogenous knowledge: Research trails (transl. by Ayi Kwei Armah). Dakar, Codesria

Lévy­Bruhl, Lucien (1911): Les fonctions mentales dans les sociétés inférieures. Paris (Paris, P.U.F., 1951)

Morazé, Charles (dir. publ.) (1980): Le point critique. Paris, P.U.F.

Taiwo, Olafemi (1993): Colonialism and its aftermath: The crisis of knowledge production, in: Callaloo, 16, 3: 891­908



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