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Afrikanische Kulturen und Globalisierung: Ein Aufruf zum Widerstand

Afrikanische Kulturen und Globalisierung: Ein Aufruf zum Widerstand


von Paulin J. Hountondji





"Es gibt, für die Afrikaner, zwei Arten sich zu verlieren: durch Einmauerung im Partikularen,
oder durch Auflösung im Universellen."
-- Aimé Césaire in einem Brief an Maurice Thorez, 1956


Was wird aus der Kultur im Zusammenhang einer globalisierten Wirtschaft? Was wird aus der kulturellen Identität, der kollektiven Selbstbestätigung, dem Gefühl der Zugehörigkeit zu ein und derselben Geschichte und dem Willen, diese Geschichte gemeinsam zu gestalten? Was wird aus der Forderung nach Selbstbestimmung?

In Afrika verlieren sich die eingespielten Reflexe. Forderungen, die sich, vor kaum vierzig Jahren, in den Augen der Unabhängigkeitskämpfer von selbst verstanden, müssen heute umständlich erklärt, gerechtfertigt, verteidigt werden. Wir existieren immer weniger als Kollektive, die von einer Tradition und von gemeinsamen Werten zusammengehalten werden. Im Gegenteil, wir akzeptieren es immer vorbehaltloser, uns im Weltmarkt aufzulösen. Der Wunsch, wir selbst zu sein, ist abgelöst worden durch die unpersönliche Sorge um Effizienz und ökonomischen Erfolg. Für diesen Orientierungsverlust will ich hierzwei Beispiele nennen, die Sprachenpolitik und die Wissenschaftspolitik unserer Staaten, bevor ich die unausweichliche, ewige, unumgängliche Frage stelle: Was tun?

Das Problem der Sprachen

1. Eine neue Rhetorik

Nur wenigen fällt heute noch spontan auf, wie anormal die Situation ist, daß sich das gesamte Bildungswesen in Afrika in entlehnten Sprachen vollzieht. Im Gegenteil, die neuen Eliten behaupten bereitwillig: "Le français n'est plus, en Afrique, une langue étrangère! English is no longer a foreign language in Africa!"

Gewiß ist das nicht vollkommen falsch. Eine Arbeitssprache ist nie eine vollkommene Fremdsprache, selbst wenn sie tatsächlich nur von einer winzigen Minderheit beherrscht wird. Aber wenn man sich damit zufriedengibt, diesen Punkt einseitig hervorzuheben, spricht man nur die Hälfte der Wahrheit aus. Die andere Hälfte, wichtiger in bezug auf das vorliegende Problem, besteht darin, daß Französisch und Englisch, ohne völlig fremde Sprachen zu sein, gleichwohl Sprachen fremder Herkunft bleiben, ein koloniales Erbe; auch wenn sie assimiliert und in unterschiedlichem Maße von den gegenwärtigen Eliten übernommen wurden, können sie sich dennoch nicht mit den bodenständigen Sprachen vergleichen, die seit Jahrhunderten der Bevölkerung als Ausdrucks­ und Kommunikationsmittel dienen.

Man löst also kein einziges Problem, wenn man versucht, die europäischen Sprachen einzubürgern, indem man sie als afrikanische ausgibt. Was dieser sophistische Diskurs belegt, ist nur der Wunsch, die Fakten zugunsten propagandistischer Ziele zu verfälschen, eine offensichtliche Diskrepanz zu vertuschen, um die immensen Probleme zu verdrängen, die sich aus dem ausschließlichen Gebrauch entlehnter Sprachen im Bildungssystem eines ganzen Kontinents ergeben.

Diese Rhetorik, ich muß es zugeben, hat durchaus Wirkung erzielt; man sieht heute eine wachsende Anzahl von Afrikanern, unter ihnen einige der brillantesten Köpfe, als Advokaten des Status quo, wobei sie gerade noch die Einschränkung machen, daß einige geringfügige Änderungen erforderlich seien.

2. Mißerfolge falsch gedeutet

Was diese Leute ermutigt, ist dies: das Scheitern der Versuche (die in einigen Ländern der Region, in Guinea, Madagaskar und anderswo, unternommen wurden), die lokalen Sprachen zu rehabilitieren. So wird berichtet, daß in Conakry nach dem Tod von Sékou Touré und dem Zusammenbruch seines Regimes lautstark die Forderung erhoben wurde, von Schülern, Studenten, Eltern und anderen Partnern der Schule, zu Französisch als Unterrichtssprache zurückzukehren.

Benin hat Vergleichbares erlebt. Das Regime marxistischer Militärs, so diktatorisch es auch war, hatte wenigstens eines begriffen: die Notwendigkeit, die nationalen Sprachen zu rehabilitieren ­ zunächst als Unterrichtsstoff, aber dann, nach und nach, auch als Unterrichtssprache. Man hatte daher in der Vorschulerziehung, in den "Centres d'éveil et de stimulation de l'enfant" (CESE), die allenthalben eröffnet wurden, für den Gebrauch der großen Verkehrssprachen des Landes gesorgt, deren Auswahl sich an der linguistischen Situation in jeder der sechs Provinzen orientierte. Aber schon nach kurzer Zeit, unter dem doppelten Druck der Eltern und der Lehrer, sah das Regime sich gezwungen, das Französische vom zweiten Vorschuljahr an wiedereinzuführen. Und unter dem gleichen Druck führten die "Generalstände der Erziehung", die im Oktober 1990 unter dem Regime der demokratischen Erneuerung zusammentraten, den Gebrauch des Französischen sogar für das erste Vorschuljahr wieder ein.

In beiden Fällen haben sich, mangels einer Analyse der Zusammenhänge und einer wirklich kritischen Bewertung, einige Politiker und Fachleute dem Chor dieser als populär ausgegebenen Forderungen angeschlossen, um ihre eigene Uberzeugung von der Uberlegenheit des Französischen als Unterrichtssprache zu rechtfertigen. Dabei hätte schon eine oberflächliche Prüfung ergeben, daß es in Wirklichkeit und in allen zitierten Fällen nicht der Gebrauch der lokalen Sprachen als solcher war, den die Bevölkerung ablehnte. Abgelehnt wurden vielmehr die Auswirkungen der sprachlichen Isolation, die unvermeidliche Folge einer schlecht vorbereiteten und hastig umgesetzten Sprachpolitik, die auf die für einen Erfolg notwendigen Begleitmaßnahmen verzichtet hatte.

Die berühmte Revolte der Kinder von Soweto hatte ganz ähnliche Gründe. Was die Bevölkerung Südafrikas ablehnte, war die intellektuelle Isolation, die aus dem Gebrauch des Afrikaans als Unterrichtssprache resultiert hätte, während Englisch, das ihnen als die weiter verbreitete, als die internationale Sprache erschien, ausgeschlossen wurde. Eine detaillierte Analyse der Erfahrungen, die in Madagaskar, Tansania und Mauretanien mit der staatlich angeordneten Sprachenpolitik gemacht wurden, und der Reaktionen der Bevölkerung in diesen Ländern, würde wahrscheinlich dieselben Befürchtungen, Sorgen und Enttäuschungen zutage fördern.

Von Soweto bis Cotonou, von Conakry bis Antananarivo, von Dar­es­Salaam bis Nouakchott: Das, was die Menschen wollen, ist eine hochwertige, weltoffene Ausbildung, eine Erziehung, die ihre intellektuelle, aber zugleich auch ökonomische, politische und kulturelle Isolation beendet und ihnen die größtmögliche Teilnahme an der Welt ermöglicht.

Die Anerkennung dieses legitimen Strebens darf jedoch nicht dazu führen, die Berechtigung einer anderen Forderung zu verkennen, die auch einmal ihre historische Stunde hatte, bei der man heute aber allzu sehr dazu neigt, sie beiseite zu wischen wie alten Plunder, der gerade gut genug ist, in einem Antikenmagazin zu landen.

3. Der Widerstand der Völker

Die Intellektuellen aus der Generation von Cheikh Anta Diop setzten ihre Ehre darein, die Sophismen des kolonialen Diskurses über die "Eingeborenensprachen" zu widerlegen. Fast der ganze zweite Teil von Diops Werk Nations nègres et culture (1954) ist diesem Problem gewidmet. Um seine Vorgehensweise zu veranschaulichen, ging Anta Diop so weit, ein Wörterbuch von Grundbegriffen der Mathematik, Physik und Chemie in Wolof vorzustellen, und übersetzte sogar eine Zusammenfassung der Einsteinschen Relativitätstheorie in Wolof.

Niemand würde heute noch das Geschwätz eines Lévy ­Bruhl (in seinem Werk Les fonctions mentales dans les sociétés inférieures von 1911) ernst nehmen, der zum Beweis des "konkreten" Charakters der"primitiven" Sprachen und ihres Unvermögens, abstrakte Begriffe wiederzugeben, darauf hinwies, daß man in einer Sprache wie Yoruba die Zahl "neunzehn" als "zwanzig minus eins", und "sechzehn" als "zwanzig minus vier" ausdrückt. Nach Meinung des französischen Philosophen bewiese das, daß der Sprecher nicht imstande sei, sich von der sehr konkreten Vorstellung einer Menge von zwanzig Kaurischnecken zu lösen. Dabei übersah er ganz einfach, daß im Lateinischen "achtzehn" und "neunzehn" auf genau die gleiche Weise ­ duodeviginti, undeviginfi ausgedrückt werden, und niemand hat deshalb je behauptet, Latein sei eine primitive Sprache.

Eine ähnliche Spitzfindigkeit ist es, die große Zahl unterschiedlicher Sprachen in einem Lande anzuführen, um damit darzutun, daß es unmöglich sei, eine von ihnen in der Erziehung und in der Verwaltung durchzusetzen. Man verschweigt dabei die Existenz der weitverbreiteten Verkehrssprachen, die von großen Bevölkerungsgruppen verstanden werden, sowohl innerhalb eines Landes als auch über Landesgrenzen hinweg. Man übersieht den Prozeß der Vereinheitlichung, der sich spontan in jeder Region vollzieht, ohne jede bewußte Steuerung, und der sich noch wesentlich beschleunigen würde, wenn er durch eine planvolle Politik unterstützt würde.

Vorurteile führen ein zähes Leben, und trotz ihrer Widersprüchlichkeit und ihrer Unbegründetheit muß man leider häufig einen beträchtlichen Aufwand an Zeit und Energie betreiben, um sie zu widerlegen. Die afrikanischen Patrioten stehen in diesem Kampf nicht allein. Seriöse und überzeugende Arbeiten aus der Linguistik und der Ethnologie geben ihnen recht und beweisen den trügerischen, ja ideologischen Charakter des obstruktiven Diskurses. Louis­Jean Calvet hat, wie man sich erinnern wird, die "Glottophagie" denunziert, diese Art von sprachlichem Kannibalismus, der der Kolonialpolitik eigen war und der das Ziel hatte, die autochthonen Sprachen zu zerstören, zu verzehren, zu verschlingen.

Was unter diesen Umständen erstaunt, ist die Fähigkeit der Menschen, Widerstand zu leisten, ist die Fortdauer und Weiterentwicklung der lokalen Sprachen und Kulturen trotz der ihnen auferlegten Drangsal. Maurice Houis hat wahrscheinlich recht: Es ist heute nicht mehr an der Zeit, die kolonialen Sophismen zurückzuweisen, sondern vielmehr eine kohärente Sprachpolitik durchzusetzen, die bestrebt ist, aus den beispiellosen Möglichkeiten der lokalen Sprachen und Kulturen Vorteil zu ziehen für eine harmonische Entwicklung aller Völker.

4. Für eine kohärente Politik

Der Nutzen einer solchen Politik wäre immens. Wenn man die Bilanz von mehr als einem Jahrhundert "Frankophonie" und "Anglophonie" zöge, würde man rasch bemerken, wie mager die Ergebnisse sind z.B. in bezug auf den Grad der Einschulung und der Alphabetisierung; und auch in bezug auf den Grad der Aneignung, der Enkulturation, der Beherrschung von Wissenschaft und modernerTechnik durch unsere Bevölkerung.

Die gegenwärtige Sprachenpolitik unserer Staaten wäre nur dann sinnvoll, wenn die Verbreitung des Französischen und des Englischen als Zweck an sich betrachtet würde oder zumindest als ein vorrangiges Ziel. Wahr ist indessen, daß wir den Kurs ändern müssen. UnserZiel kann nicht sein, uns für die weltweite Verbreitung einer bestimmten Sprache einzusetzen, auch nicht unserer Gebrauchssprache. Unser Ziel muß vielmehr sein, innerhalb einer voraussehbaren Frist eine Erziehung für alle zu verwirklichen.


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