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Lumumbas Martyrium 2/4

Lumumbas Martyrium  2/4

Für die belgische Presse ist er nur der »dreckige Neger«

Die Kongolesen im Saal stehen auf und spenden begeistert Beifall. Überall im Land, überall, wohin das Radio die Ansprache überträgt, erheben sich die Menschen und klatschen, auch die Frauen, die zu erwähnen Lumumba nicht für nötig befindet. Zum ersten Mal hat ein Politiker seine Landsleute direkt als Angehörige einer Nation angesprochen – einer Nation, deren Zusammengehörigkeitsgefühl nicht auf gemeinsamer Sprache und Kultur beruht, sondern auf der gemeinsam erlittenen Kolonialzeit.

Man muss sich die Filmbilder dieses Auftritts ansehen, muss die fassungslosen, eisigen Mienen Baudouins und der ausländischen Diplomaten studieren, um zu begreifen, was diese Rede auslöste unter den Weißen in Léopoldville, aber auch in Brüssel, Paris, Lissabon, Washington. Ein »Schwarzer aus dem Busch« hatte in seltsam klingendem Französisch einem weißen Regenten von Angesicht zu Angesicht Gräueltaten vorgeworfen, den Ruhm der kolonialen Ära beschmutzt und dreist die Geschichte neu interpretiert.

Das war mehr als ein Eklat, das war eine Kriegserklärung. »Welch eine Anmaßung«, empörte sich die belgische Presse über Lumumba, den sie fortan als sale nègre, »dreckiger Neger«, titulierte. Im Weißen Haus in Washington, wo man fehlende Demut in der Dritten Welt sofort als Ausdruck kommunistischer Tendenzen deutete, wähnte man den Kongo mit seinen riesigen Rohstoffvorkommen nun in den Händen eines unberechenbaren »Negers«, der auch noch einen goatee trug, einen Ziegenbart. Das war die Mode der Beatniks, einer als subversiv und unpatriotisch geltenden Protestkultur. Lumumbas Bart wurde zu einer Obsession der amerikanischen Presse, zum physischen Beweis für Lumumbas »Moskauhörigkeit«.

Tatsächlich aber sprach der Mann mit dem Ziegenbart perfektes Französisch mit einem rollenden r, außerdem fließend Lingala und Swahili. Die Beatniks interessierten ihn so wenig wie Marx und Lenin. Und sein politischer Ziehvater befand sich nicht in Moskau, sondern in Accra, der Hauptstadt Ghanas.

Patrice Émery Lumumba war 1925 in einem Dorf im Kasai zur Welt gekommen. Er durchlief das koloniale Schulwesen, damals fest in der Hand belgischer Missionare, und machte Karriere, soweit ein Schwarzer in diesen Zeiten Karriere machen konnte. Schloss eine Ausbildung für den Postdienst ab. Erhielt 1954 die Carte d’Immatriculation, die ihn als évolué auswies, als »zivilisierten Neger«. Antragsteller mussten nachweisen, dass sie der Polygamie und der Hexerei abgeschworen hatten, außerdem lesen und schreiben konnten sowie mit Messer und Gabel aßen, also »von europäischer Zivilisation durchdrungen« waren. Bis kurz vor der Unabhängigkeit hatte die belgische Kolonialverwaltung 1500 Kongolesen eine Carte d’Immatriculation ausgestellt. Was nach Meinung der Kolonialherren bedeutete: Die Mündel bedurften noch auf Jahrzehnte ihrer väterlichen Herren. Davon war auch Lumumba wie viele évolués lange überzeugt. »Belgiens Mission im Kongo ist im Grunde eine zivilisierende«, schrieb er 1956 in seinem posthum veröffentlichten Buch Der Kongo, mein Land und warnte vor zu viel Freiheit für »die unwissenden Massen«.

Lumumba hätte seine Rede zur Unabhängigkeit womöglich nie gehalten, wäre er im Dezember 1958 nicht für seine Partei, das Mouvement National Congolais, zur All-African People’s Conference nach Accra geschickt worden. In Ghana, seit 1957 unabhängig, traf sich auf Einladung von Präsident Kwame Nkrumah alles, was in der antikolonialen Bewegung Afrikas Rang und Namen hatte. Lumumba kehrte mit einer dezidiert anderen Ansicht über Unabhängigkeit nach Hause zurück: Staatliche Souveränität war für ihn nunmehr ein Recht der Kongolesen, kein Geschenk der Belgier. Seine politische Radikalisierung brachte ihm Ende 1959 mehrere Monate Gefängnis und Folter ein.

http://www.zeit.de/2011/03/Kongo-Lumumba?page=2

18.01.2011