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LUMUMBA - Tod eines Hoffnungsträgers

LUMUMBA - Tod eines Hoffnungsträgers

Vor 50 Jahren wurde der vielleicht radikalste und aufrichtigste Kämpfer für die Befreiung Afrikas von kolonialer Fremdherrschaft, Patrice Lumumba, im Auftrag Brüssels und Washingtons ermordet

von Alexander Bahar

Mußte sterben, weil er den belgischen und US-amerikanische
Mußte sterben, weil er den belgischen und US-amerikanischen Interessen im Weg stand: Patrice Lumumba (rechts sitzend) wird abtransportiert (Dezember, 1960)
Foto: Christian Ditsch/version-foto.de

Patrice Lumumba wurde am 2. Juli 1925 unter dem Namen Tasumbu Tawosa in der südlichen Diamantenprovinz Kasai als Sohn eines Bauern geboren. Die schlimmsten Auswüchse der belgischen Fremdherrschaft waren inzwischen längst Geschichte. Unter dem Terrorregime König Leopold II., der den Kongo zu seinem Privatbesitz gemacht und das riesige rohstoffreiche Gebiet ohne Rücksicht auf Verluste ausgebeutet hatte, war die Bevölkerungszahl des Kongo zwischen 1891 bis 1911 infolge von Gewalt, Zwangsarbeit und Hunger von über 20 auf 8,5 Millionen Menschen gefallen. Immer noch ist der Kongo eine Goldgrube für die Belgier, das wichtigste Exportgut ist nun nicht mehr Elfenbein oder Kautschuk, sondern Kupfer – gefördert in der mit Abstand ressourcenreichsten Provinz Katanga durch die belgische Bergbaugesellschaft »Union Minière«. Der kleine Tasumbu Tawosa geht zunächst den Weg aller »Évolués«, wie man die hauchdünne Schicht der kongolesischen, europäisch geprägten Intelligenz nennt; einige Jahre lang besucht er protestantische und katholische Missionsschulen. Staatliche Schulen existieren damals nicht, wie es für die einheimische Bevölkerung überhaupt an Bildungseinrichtungen mangelt. Schon früh ist Lumumba selbstbewußt – und ein begeisterter Leser, schreibt sein Biograf Leo Zeilig. Vermutlich mit 17 Jahren verläßt er seine Heimatprovinz, um sich in der Hauptstadt Léopoldville (heute Kinshasa) niederzulassen. Während Lumumba bei der Post und später bei einer Brauerei arbeitet, bildet er sich systematisch weiter. Er liest viel, belegt Abendkurse in Französisch und beginnt bald, für Zeitungen zu schreiben.

Rufe nach Unabhängigkeit

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, in dem allein 15000 Kongolesen an der Seite weißer Soldaten gedient hatten, um danach doch wieder Menschen zweiter Klasse zu werden, sind die Kolonialmächte fest entschlossen, ihre afrikanischen Besitzungen zu behalten, ja, nach Möglichkeit noch zu erweitern, um ihre kolonialen Verluste in Asien zu kompensieren. Die Geschäfte im Kongo florieren. Doch die Rufe nach Unabhängigkeit werden immer lauter. Wie in den anderen afrikanischen Kolonien gründen auch die Kongolesen Verbände und Parteien. Die Évolués werden zur treibenden Kraft der Unabhängigkeitsbewegung. Als Vorbild gilt vielen, darunter auch Lumumba, Ghana, das 1957 als erstes schwarzafrikanisches Land seine Unabhängigkeit erlangt. Präsident ist Kwame Nkrumah, der in den USA studiert hat und von einem vereinten Großafrika träumt. Im Dezember 1958 lädt Nkrumah zur panafrikanischen Konferenz in Ghanas Hauptstadt Accra, an der auch der charismatische Lumumba teilnimmt, der sich zunehmend als schärfster Kritiker des Kolonialsystems profiliert.

Ein Protestbrief Lumumbas an den belgischen Generalgouverneur mit der Forderung nach größerer Freiheit für die Kongolesen wird zum Gründungsdokument der »Kongolesischen Nationalbewegung« (»Mouvement National Congolais«, MNC), die sich am 10. Oktober 1958 konstituiert hat »und bald den linksextremen und fortschrittlichsten Flügel der schwarzen Unabhängigkeitsbewegung bildete«.[1]  Die MNC ist die einzige Partei, die konsequent für eine Zentralregierung und die Vereinigung des Kongo über ethnische und regionale Grenzen hinweg eintritt. Lumumba weiß, daß der Tribalismus für die kongolesische Unabhängigkeit die größte Gefahr darstellt. Die belgische Kolonialverwaltung hatte sich stets der traditionellen Stammeseinflüsse bedient, um das Land leichter beherrschen zu können; fiel indes die Klammer der weißen Herrschaft weg, so würde der Staat möglicherweise in einen Haufen rivalisierender Stämme zerbrechen. Lumumba zieht daher den Schluß, nur ein straffer Einheitsstaat und eine starke Zentralregierung könnten die künftige Kongo-Republik zusammenhalten. Zu den wichtigsten Programmpunkten der MNC gehörte daher der unbarmherzige Kampf gegen die Stammestraditionen und den regionalen Separatismus und Provinzialismus. Schon bald wird Patrice Emergy Lumumba zum »überlebensgroßen Symbol des kongolesischen Einheitsstaates.«[2]

Föderalismus oder Einheitsstaat

Wie viele andere Kolonialmächte in Afrika wurde auch Belgien völlig überrascht von der Forderung nach Selbständigkeit, die sich in den fünfziger Jahren über den ganzen Kontinent verbreitete und in Leopoldville im Januar 1959 zu großen, von der Eliteeinheit Force Publique blutig unterdrückten Massendemonstrationen führte. Bis dahin hat man in Brüssel noch angenommen, die Unabhängigkeit werde wohl irgendwann fällig sein, aber erst in einigen Jahrzehnten. Bis zum Spätsommer des Jahres schlug die belgische Kolonialverwaltung rigoros auch alle separatistischen Bestrebungen in den Kongo-Provinzen nieder. Infolge der andauernden Unruhen wurden der belgischen Regierung jedoch immer deutlicher bewußt, daß sie die Kolonie nicht halten kann. Seit dem Sommer 1959 war Brüssel entschlossen, sich aus dem Kongogebiet zurückzuziehen, freilich auf eine Art, die das gewaltige ökonomische Imperium belgischer Staatskonzerne und Riesenfirmen unangetastet ließ. Die kolossalen westlichen Investitionen in die Mineralressourcen des riesigen Landes (Uran, Kupfer, Gold, Zinn, Kobalt, Diamanten, Mangan, Zink) legten es nahe, das Land über seine formale Unabhängigkeit hinaus unter Kontrolle zu halten. »An der Brüsseler Börse tauchte eine verführerische Parole auf: ›Wir gehen, um zu bleiben‹«, so der Spiegel [3] 1960. Das belgische Industrie- und Rohstoffimperium war allerdings nur zu sichern, wenn es gelang, die lokalen Machthaber des Kongogebiets für Belgien zu gewinnen. Die Brüsseler Kapitalisten erkannten richtig, daß eine afrikanische Zentralregierung die Macht der belgischen Monopole nicht unbeschnitten lassen würde. Die Provinzen dagegen wären wohl kaum bereit, ihre Einnahmen aus belgischen Unternehmen nach Léopoldville abzuführen. Brüssel forderte deshalb, die künftige Kongo-Republik müsse möglichst föderalistisch gegliedert sein, d.h. den örtlichen Potentaten weitgehende Kompetenzen zugestehen. Der Einzige, der aus Sicht Brüssels diese Pläne, die auf den Egoismus der Provinzen bauten, durchkreuzen konnten, war Patrice Emergy Lumumba. Mit allen Kräften sollte die belgische Kolonialverwaltung in der Folge versuchen, den Aufstieg dieses Mannes zu verhindern.

Ungeachtet ihrer unterschiedlichen Auffassungen nahmen die kongolesischen politischen Parteien am belgisch-kongolesischen »Runden Tisch«, der im Januar 1960 in Brüssel zur Entlassung des Kongo in die Unabhängigkeit zusammentritt, eine einheitliche Haltung gegenüber der Kolonialmacht ein. Sie verständigen sich darauf, daß die Unabhängigkeit in den durch die Berliner Kongo-Konferenz (1884–1885) gezogenen Grenzen vollzogen werden sollte. Die Bildung einer Zweiten Kammer (Senat), besetzt mit jeweils gleich vielen Vertretern der sechs Provinzen, und die paritätische Besetzung der Zentralregierung durch die Vertreter der Provinzen stellten für die Föderalisten eine ausreichende Garantie für die Durchsetzung ihrer Interessen dar. Die Einheitsfront konnte außerdem die Teilnahme Lumumbas am »Runden Tisch« durchsetzen und das Unabhängigkeitsdatum auf den 30. Juni 1960 festsetzen. Lumumba war am 30. Oktober 1959 als gefährlicher Aufrührer verhaftet worden. Im Gefängnis schlugen ihn die weißen Wärter und beschimpften ihn als »Affen«. Aus dem Gefängnis geholt, gelang es ihm, die Belgier auf eine Lösung des Kongo-Problems festzulegen, die im Grunde den Intentionen Brüssels widersprach. Im belgisch-kongolesischen Freundschaftsvertrag vom Februar 1960, der Gründungsurkunde des unabhängigen Kongo-Staates, bekannte sich Brüssel zum Prinzip des Einheitsstaates.

Obwohl die belgischen Kolonialbehörden alles daran setzen, die Wahl Patrice Lumumbas zum ersten Ministerpräsidenten der Kongo-Republik zu hintertreiben und einseitig dessen Gegner bevorzugen, kann sich der von Lumumba geführte Flügel der Kongolesischen Nationalbewegung (MNC/Lumumba)[4] als stärkste Kraft durchsetzen und schließlich eine aus 21 Ministern bestehende Regierung der nationalen Einheit bilden. Vereinbarungsgemäß wählte das Parlament dann den Führer der ABAKO (Allianz der Bakongo), ­Joseph Kasavubu, zum ersten Staatspräsidenten.

Folgenschwere Rede

Am 30. Juni 1960 wurden die Unabhängigkeitsfeiern in Anwesenheit von König Baudouin I. (1930–1993) von Belgien in Léopoldville hochoffiziell begangen. Mit leutseliger Geste gedachte der Monarch den Kongo in die Freiheit zu entlassen; er pries die »Errungenschaften« und die »zivilisatorischen Verdienste« der Kolonialherrschaft. Und an die Vertreter der neuen Regierung gerichtet: »Jetzt liegt es bei Ihnen, meine Herren, sich unseres Vertrauens würdig zu erweisen«. Dazu konnte Patrice Lumumba nicht schweigen. In einer vom Protokoll nicht vorgesehenen, flammenden Rede widersprach er vor den versammelten Honoratioren aus dem In- und Ausland der königlichen Geschichtsauffassung und prangerte in einer Replik die Unterdrückung, Mißachtung und Ausbeutung durch die belgische Kolonialverwaltung an. An König Baudouin gewandt, brandmarkte er die achtzig Jahre »erniedrigender Sklaverei, die uns mit Gewalt auferlegt wurde. […] Wir haben zermürbende Arbeit kennengelernt und mußten sie für einen Lohn erbringen, der es uns nicht gestattete, den Hunger zu vertreiben, uns zu kleiden oder in anständigen Verhältnissen zu wohnen oder unsere Kinder als geliebte Wesen großzuziehen. […] Wir kennen Spott, Beleidigungen, Schläge, die morgens, mittags und nachts unablässig ausgeteilt wurden, weil wir Neger waren. […] Wir haben erlebt, wie unser Land im Namen von angeblich rechtmäßigen Gesetzen aufgeteilt wurde, die tatsächlich nur besagen, daß das Recht mit dem Stärkeren ist. […] Wir werden die Massaker nicht vergessen, in denen so viele umgekommen sind, und ebensowenig die Zellen, in die jene geworfen wurden, die sich einem Regime der Unterdrückung und Ausbeutung nicht unterwerfen wollten«. Nach dem Diskurs wollte König Baudouin den Kongo sofort verlassen, doch seine Minister rieten ihm, aus Höflichkeit zum Abschlußdiner zu bleiben, wo Lumumba dann versuchte, den Monarchen mit einer Lobrede über die belgischen Verdienste außerhalb der Kolonien zu trösten.

Lumumbas Aufritt hatte die Weltöffentlichkeit aufhorchen lassen. Den Herrschenden in den westlichen Hauptstädten mußten von den Reden dieses Antiimperialisten die Ohren klingeln, machte er doch unumwunden klar, daß die politische Unabhängigkeit allein nicht ausreiche, um Afrika von seiner kolonialen Vergangenheit zu befreien; der Kontinent dürfe auch keine wirtschaftliche Kolonie Europas mehr sein. Lumumbas offene und aufrichtige Forderung nach ökonomischer Unabhängigkeit, sozialer Gerechtigkeit und politischer Selbstbestimmung und seine Feindschaft gegenüber einer auf ethnischen Spaltungen basierenden Ordnung besiegelten sein Schicksal. Belgische, britische und US-Unternehmen hatten mittlerweile riesige Summen im Kongo investiert. Lumumba, dessen Stimme weit über die Landesgrenzen hinaus auszustrahlen begann, war eine in den Augen des Westens allzu unbequeme und charismatische Figur. Seine Botschaft, so fürchteten die westlichen Regierungen, könnte ansteckend sein. Außerdem war der Premier nicht käuflich.

Machtloser Premier

Als Belgien den Kongo in die Unabhängigkeit entließ, setzte sofort ein chaotischer Kampf um die Verteilung der Früchte ein. Das riesige Territorium war notorisch unterentwickelt. Im ganzen Land gab es weniger als 30 Afrikaner mit Hochschulabschluß – bei einer Bevölkerung von über 14 Millionen. Weder einheimische Offiziere noch Ingenieure, Agronomen oder Ärzte standen bereit. Auch sonstige Schritte zur Förderung eines vom eigenen Volk regierten Kongo hatte die Kolonialregierung kaum unternommen: So waren von etwa 5000 leitenden Angestellten im öffentlichen Dienst nur ganze drei Afrikaner. Konsequent hatten die Belgier dem Kongo Hochschulen und Universitäten versagt, jedes politische Leben unterdrückt und damit die Kongolesen bewußt von allen Formen westlicher Zivilisation abgeschnitten. Tatsächlich fehlten dem Kongogebiet alle Voraussetzungen, die etwa den Erfolg des ghanesischen Vorbilds ermöglicht hatten: eine zentralistische Einheitspartei sowie ein machtpolitischer Unterbau durch Gewerkschaften und Genossenschaften. Lumumba baute daher ganz auf die Kontrolle über die Elitetruppe Force publique, um die bereits kurz nach dem Start der Unabhängigkeit ein erbitterter Kampf mit den belgischen Kolonialbehörden einsetzte. Die kongolesischen Soldaten wünschten befördert zu werden, sie wollten einen höheren Sold und verlangten, alle Spuren der Diskriminierung in der Force publique sollten verschwinden. Lumumba hoffte noch, durch eine allgemeine Rang- und Solderhöhung die Unruhestifter besänftigen zu können, als auch schon Nachrichten aus allen Landesteilen von Meutereien und Aufständen kündeten. Vielerorts hatten Einheiten der Force publique Häuser angezündet und Weiße überfallen. Kaum war die Meuterei ausgebrochen, da begannen sich die einzelnen Provinzen des Landes von der Zentralregierung in Leopoldville abzuwenden.

Katanga, die für die Republik lebenswichtige reiche Uran- und Kupferprovinz im Südosten des Reiches, die Schatzkammer Belgisch-Kongos, machte den Anfang. Hier bauten belgische Staatskonzerne Kupfer, Uran und andere Metalle ab: wichtige Rohstoffe für die Rüstungsindustrie und für die Produktion von Atomwaffen. Für die USA Grund genug, der Provinz eine strategisch wichtige Bedeutung in der Blockkonfrontation einzuräumen. Beherrschende Macht in Katanga war das »Comite special du Katanga« (CSK), das die Konzessionen an belgische Firmen vergab, vor allem aber an die mächtige Bergwerkgesellschaft »Union Miniere du Haut-Katanga«. In dem 40jährigen Häuptlingsenkel und Millionenerben Moise Kapenda Tshombe, Anführer der sezessionistischen Eingeborenen-Partei Conakat, erstand den belgischen Kapitalisten ein Bundesgenosse, der entschlossen war, die Provinz, die allein 66 Prozent des kongolesischen Nationaleinkommens aufbrachte, von der Kongo-Republik abzuspalten.

Hatten die Belgier Tshombes früheren Versuchen, die Provinz als selbständigen Staat zu etablieren, stets gewaltsam Einhalt geboten, gaben sie dem Häuptlingsenkel nun freie Fahrt für die selbstgewählte Unabhängigkeit. In Lumumbas Gegenspieler sah Brüssel den Garanten für die westlichen Interessen. Schon zuvor hatte die belgische Regierung heimlich Gelder und Waffen an regionale sezessionistische Gruppen im Kongo geliefert, die Lumumba und seine Anhänger gewaltsam bekämpften. Ermuntert von den belgischen und britischen »Union Miniere«-Aktionären, beeilte sich Tshombe, seine Politik des »verschleierten Separatismus« in die Tat umzusetzen. Ohne sein Parlament zu fragen, rief ­Tshombe am 11. Juli 1959 die »Unabhängige Republik Katanga« aus, um sogleich belgische Truppen ins Land zu holen, die in wenigen Tagen die Ordnung wiederherstellten. Diese »Aggression« (so Lumumba) untermauerten die Belgier durch entsprechende diplomatische Intrigen gegen den Premier, indem sie Mitglieder der Regierung drängten, Lumumba »an der Spitze der Armee oder an der Spitze des Landes« abzulösen.

Mit dem Abfall Katangas war geschehen, was Patrice Lumumba immer befürchtet hatte: die von Brüssel forcierte Abspaltung einer Provinz vom Kongo-Staat. Daß ausgerechnet die reichste Provinz sich von der Republik losgelöst hatte, verschaffte Tshombe eine Stellung, gegen die der machtlose Lumumba kaum aufkommen konnte. Unterstützt von Brüssel forderte Tshombe das Ausland auf, die Unabhängigkeit Katangas anzuerkennen, berief die Politiker und Abgeordneten der Provinz aus den Zentralbehörden in Léopoldville ab und verhaftete jeden kongolesischen Politiker, der Katangas Boden betrat – selbst Lumumbas Außenminister Bomboko, als der versuchte, zwischen Lumumba und Tshombe zu vermitteln.

Hilferuf an die UNO

In dieser drohenden Todesstunde der Kongo-Republik suchte Lumumba verzweifelt nach einem Ausweg. Scheinbar mit Erfolg appellierte er an UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld, die UNO möge mittels der Entsendung von UN-Truppen »die belgische Aggression« stoppen. Offiziell unterstützte die UNO die Regierung Lumumba. Tatsächlich aber wollte man verhindern, daß Lumumba von dritter Seite Hilfe erhielt, hatte er doch damit gedroht, als ultima ratio um sowjetische Unterstützung zur Befreiung Katangas zu bitten. Dies lieferte Washington den Vorwand, sich mit der alten Kolonialmacht zusammenzutun. Die UNO intervenierte also vor allem, so erklärte der US-Botschafter im Kongo, »um den sowjetischen Bär vom kongolesischen Kaviar fernzuhalten«. Das eigentliche Ziel der UN-Mission wurde denn auch schnell deutlich: Überall im Kongo wurden Blauhelme stationiert, nur nicht in Katanga. Doch damit brach die Weltorganisation geschriebenes Recht, nämlich den belgisch-kongolesischen Freundschaftsvertrag, in dem die Einheit und die Unverletzlichkeit der unabhängigen Kongo-Republik verbürgt waren. Lumumba verlangte daher, die UNO dürfe nicht auf halbem Weg stehenbleiben, sie müsse dem Völkerrecht Geltung verschaffen und die belgische Aggression beenden. Scheinbar gab die UNO Lumumbas Drängen nach. UNO-Soldaten wurden in Katanga stationiert, gegenüber den belgischen Aggressoren aber blieben sie passiv. Brüssels Soldaten wurden in der Folge in die Armee Katangas integriert: ein Schachzug, der es Lumumba unmöglich machte, die Kontrolle über die abtrünnige Provinz militärisch wiederzuerlangen. Alle Proteste Lumumbas stießen ins Leere. Als ein vom amerikanischen und europäischen Kapital Geächteter waren seine Tage gezählt. Die westlichen Medien halfen eilfertig beim Ausmalen dieses Feindbildes. Der deutsche Spiegel nannte ihn »halb Scharlatan, halb Missionar«, »ziegenbockbärtigen Neger« und »Einheits-Apostel«. Andere Schmähtitel waren »tobsüchtiger Premierminister«, »Poltergeist« oder »kraushaariger Messias«.

Mordbefehl

Weniger als zwei Monate nach der Ernennung Patrice Lumumbas zum ersten demokratisch gewählten Premierminister des Kongo gab ein mit verdeckten Operationen befaßter Unterausschuß des US-Sicherheitsrats, in dem auch CIA-Chef Allen Dulles saß, grünes Licht für seine Ermordung.[5] Im August 1960 schickte Dulles, für den Lumumba schlicht ein »tollwütiger Hund« war, ein Telegramm an seinen CIA-Mann in Léopoldville: »Falls Lumumba an der Macht bleibt, wird die Situation im besten Falle in ein Chaos münden und im schlechtesten Falle in der Machtergreifung der Kommunisten im Kongo. Wir haben entschieden, daß seine Entfernung das wichtigstes Ziel ist und oberste Priorität hat bei unseren geheimen Aktionen.«[6] Ludo de Witte zitiert in seinem Buch ein weiteres Telegramm, ein Memorandum, das der damalige belgische Minister für afrikanische Angelegenheiten, Graf Harold d’Aspremont Lynden, im Oktober 1960 an belgische Vertreter im Kongo sandte. »Das Hauptziel, das im Interesse von Kongo, Katanga und Belgien zu verfolgen ist, ist fraglos die endgültige Eliminierung Lumumbas«, heißt es darin. Eine unmißverständliche Handlungsanweisung, war doch Lumumba zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr an der Macht und stand unter Hausarrest.

Auf Geheiß Brüssels entließ der kongolesische Staatspräsident von Belgiens Gnaden, Joseph Kasavubu, am 5. September 1960 den Premierminister Lumumba – gegen die Verfassung und unter dem Schutz der UNO. Lumumbas ehemaliger Kampfgefährte, der junge Joseph Desiré Mobutu, damals Stabschef in der Armee und Ex-Unteroffizier der alten kolonialen Force Publique, übernahm das Kommando über die Streitkräfte.

»Lumumba unschädlich machen«

In den folgenden Tagen überstürzen sich die Ereignisse. Nicht nur in Senat und Parlament erhält der Premier überwältigenden Zuspruch, auch die Bevölkerung protestiert vehement gegen die Absetzung Lumumbas. Der belgische Außenministers schreibt an seine Mitarbeiter: »Die eingesetzten kongolesischen Autoritäten haben die Pflicht, Lumumba unschädlich zu machen.«[7] Als sich der Erfolg nicht einstellen will, drängen die Westmächte Armeechef Mobutu zu einem Staatsstreich. Sie haben Mobutu als ihren Mann ausgemacht. »Während Lumumbas Ermordung geplant wurde, erhielt er Gelder vom dortigen CIA-Mann und von westlichen Militärattaches«, schreibt Adam Hochschild.[8]

Am 14. September 1960 übernimmt das Militär die Macht. Das Parlament wird aufgelöst. Unter dem Vorwand, »Ruhe und Ordnung« wiederherzustellen, schließt die UNO Radiosender und Flughäfen. Die USA und Belgien stellen eine Million Dollar zur Verfügung, um die Soldaten auf Mobutus Seite zu ziehen. Mit Erfolg: zwei Wochen nach dem Putsch umstellen Soldaten die Residenz Lumumbas, sekundiert von Blauhelmen der UNO. Lumumba ist gefangen. Der Westen ist erleichtert. Doch in einer regnerischen Nacht gelingt dem Premier, in einem Auto versteckt, die Flucht. Die Kongolesen sind begeistert. In New York, Washington und Brüssel ist man entsetzt. Aber schon nach drei Tagen nehmen Mobutus Soldaten Lumumba gefangen. Sie schaffen ihn und seine politischen Gefährten Okito und Mpolo mit dem Flugzeug zurück in die Hauptstadt. Man bringt sie nach Thysville, in eine Elitegarnison Mobutus. Eine Flucht ist unmöglich. Der Westen wähnt seine Interessen gewahrt. Um die Jahreswende 1960/61 jedoch leiten die Lumumba-Anhänger eine militärische Offensive im Osten des Kongo ein. In kurzer Zeit erobern sie die Hälfte des Landes. Außerdem gelingt es ihnen, einen Teil der Elitesoldaten auf ihre Seite zu ziehen. Nach einer Meuterei befiehlt der belgische Minister für afrikanische Angelegenheiten, D’Aspremont Lynden, am 16. Januar 1961 Lumumbas Deportation nach Katanga. Am 17. Januar 1961 werden Maurice Mpolo, Joseph Okito und Patrice Lumumba in einer DC4 der belgischen Fluggesellschaft SABENA von einer belgischen Crew in die Hauptstadt Katangas, Elisabethville, geflogen. Mobutu-Soldaten bewachen die Gefesselten. Augen, Ohren und Münder hat man ihnen zugeklebt. Während des mehrstündigen Fluges werden sie mit Füßen getreten und brutal gefoltert.

Märtyrer und Symbolfigur

Als sie in Katanga eintreffen, sind alle führenden Politiker anwesend: Tschombes »Regierung« und das belgische Schattenkabinett aus belgischen Offizieren und Verwaltungsbeamten. In Anwesenheit der Belgier werden Lumumba und seine Gefährten in eine improvisierte Gefängniszelle gesteckt. Wieder werden die drei von Soldaten gefoltert und von belgischen Offizieren geschlagen. In geheimen Treffen stimmen die Vertreter Belgiens überein, daß sie nicht intervenieren werden. Noch am selben Abend werden Patrice Lumumba, Joseph Okito und Maurice Mpolo gefesselt auf der Ladefläche eines Jeeps in die Savanne gefahren. Drei Exekutionskommandos stehen bereit. Für jeden Gefangenen eines.

Obwohl Tshombe nach dem Mord an Lumumba Premierminister des Kongo wurde, hatte seine Herrschaft nicht lange Bestand. Im Jahre 1965 putschte sich Armeechef Joseph Mobutu mit Unterstützung der USA an die Macht. Mobutu blieb die folgenden 32 Jahre lang Diktator und wurde berühmt für die Korruption und Habgier seines Regimes. Diese »Kleptokratie« wurde zum engsten Verbündeten der USA auf dem Kontinent und diente ihnen als Operationsbasis für ihre Interventionen gegen Befreiungsbewegungen im südlichen Afrika.

Infolge seiner brutalen Ermordung wurde Patrice Emergy Lumumba zum Märtyrer und zu einer Symbolfigur des Kampfs gegen die imperialistische Aggression in Afrika, gegen Fremdherrschaft und (post-)koloniale Ausbeutung. »Seit Lumumba tot ist, hört er auf, eine Person zu sein. Er wird zu ganz Afrika«, verkündete Jean Paul Sartre.

Anmerkungen

[1] »Der heiße Ziegelstein«, Der Spiegel, Nr. 32/1960.

[2] ebd.

[3] ebd.

[4] Noch vor der Unabhängigkeit des Kongo hatte sich die MNC in einen fortschrittlichen Flügel unter Führung von Lumumba und in einen gemäßigten Flügel unter Führung von Kalondji (MNC/Kalondji) gespalten.

[5] Seen Kelly, America’s Tyrant: The CIA and Mobutu of Zaire, Washington, D.C., 1993, S. 57–60

[6] Zit. nach Ludo de Witte, »L’Assassinat de Lumumba«, deutsch 2001.

[7] Zit. nach Ludo de Witte, »L’Assassinat de Lumumba«, deutsch 2001.

[8] Adam Hochschild, Schatten über dem Kongo. Die Geschichte eines der großen, fast vergessenen Menschheitsverbrechen, Klett-Cotta, Stuttgart 2000, S. 424, Anm. 21

http://www.jungewelt.de/2011/01-17/021.php

18.01.2011