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Nach der "Françafrique" kommt jetzt "Sarkafrique"

Der Kolonialismus in der Darstellung Nicolas Sarkozys

Einer der wesentlichen Merkmalszüge der Rede, die Sarkozy schließlich hielt, ist die Bewertung des Kolonialismus, die er vor allem im ersten Teil der Ansprache vornimmt.

Diese fällt insofern ambivalent aus, als der französische Präsident einerseits das Kolonialsystem und insbesondere den – ihm im ehemals französisch beherrschten Afrika zeitlich vorausgehenden – Sklavenhandel verurteilt, andererseits aber den Akteuren der Kolonialeroberung (oder zumindest vielen unter ihnen) gutgläubiges Handeln im Namen echter Werte unterstellt. So führte Nicolas Sarkozy am vorigen Donnerstag einerseits aus:

"Aber ist wahr, dass die Europäer dereinst als Eroberer nach Afrika kamen. Sie haben die Erde Eurer Vorfahren genommen. Sie haben die Götter, die Sprachen, die Glaubensvorstellungen, die Gebräuche Eurer Väter verbannt. Sie haben zu Euren Vätern gesagt, was sie denken müssen, was sie glauben müssen, was sie machen müssen. Sie haben Eure Väter von ihrer Vergangenheit abgeschnitten, sie haben ihre Seele und ihre Wurzeln ausgerissen. Sie haben Afrika entzaubert. Sie hatten Unrecht."

Eine seltsame Präsentation des Kolonialismus, die sich an einer seiner Wirkung – der Zerstörung alter Glaubensvorstellungen – aufhält, aber nicht zu seinem Kern, der Ausbeutung von Menschen und natürlichen Reichtümern und der Ermordung zahlloser Menschen, vordringt. An dieser Stelle nimmt Nicolas Sarkozy allerdings bereits den anderen Teil der Rede, in dem er das Bild eines ewigen, nach wie vor von Magie geprägten Afrika zeichnet und es für die angeblichen Fortschrittsblockaden des Kontinents verantwortlich erklärt, vorweg.

An einem anderen Punkt seiner Rede kommt Sarkozy jedoch auch auf andere Aspekte der Kolonisierung zu sprechen. So führt er aus:

"Der Kolonisateur ist gekommen, er hat genommen, er hat gewütet, er hat ausgebeutet, er hat Ressourcen geplündert, Reichtümer, die ihm nicht gehörten. Er hat den Kolonisierten seiner Persönlichkeit, seiner Freiheit, seiner Erde, der Früchte seiner Arbeit beraubt."

Im darauf folgenden Absatz glaubt Sarkozy dann jedoch hinzufügen zu müssen:

"Er hat genommen, aber ich möchte voll Respekt sagen, dass er auch gegeben hat. Er hat Brücken, Stra?en, Krankenhäuser, Gesundheitsstationen, Schulen errichtet. Er hat jungfräuliche Landstriche fruchtbar gemacht, er hat seine Mühe, seine Arbeit, sein Wissen gegeben. Ich möchte es an dieser Stelle sagen, alle ‚colons' (Kolonisten, Siedler) waren nicht Diebe, alle "colons" waren nicht Ausbeuter. Es gab schlechte Männer unter ihnen, aber es gab auch Männer guten Willens unter ihnen, Männer, die glaubten, eine zivilisatorische Mission zu erfüllen, Männer, die glaubten, das Gute zu tun. (...) Aber die Kolonisierung war ein Fehler, der durch die Verbitterung und das Leiden jener bezahlt wurde, die geglaubt hatten, alles zu geben und die nicht verstanden, warum man ihnen so viel Vorwürfe machte."

Die Mängel Afrikas

Aber zurück zu Sarkozys Ansprache von vergangener Woche in der senegalesischen Hauptstadt Dakar. Nachdem er in ihrer ersten Hälfte sein doch recht ambivalentes Urteil über die Periode des Kolonialismus gefällt hatte, kam der französische Präsident dann im Anschluss auf die heutige Periode zu sprechen. Und darin sparte er dann - nachdem er scheinbar Selbstkritik aus europäischer Perspektive geübt hatte - nicht mit Kritik, Vorwürfen und vermeintlich guten Ratschlägen an die Adresse der Afrikaner.

Zu den seitdem meistzitierte Sätzen aus jener Rede gehören folgende, die hier zurück in ihren Kontext platziert worden sind:

"Ich bin nicht gekommen, Jugend von Afrika, um Ihnen/Euch Morallektionen zu erteilen. Aber ich bin gekommen, um Euch/Ihnen zu sagen, dass der Teil von Europa, der in Euch ist, zwar aus einem gro?en Fehlverhaltens durch Arroganz seitens des Westens heraus entstanden ist – dass aber der Teil von Europa, den Ihr in Euch habt, nicht unwürdig ist. Denn er (dieser europäische Anteil) ist der Ruf der Freiheit, der Emanzipation und der Gerechtigkeit und der Gleichheit zwischen den Frauen und den Männern. Denn er ist der Ruf der Vernunft und des universellen Bewusstseins.

Das Drama Afrikas besteht darin, dass der afrikanische Mensch nicht genügend in die Geschichte eingetreten ist. Der afrikanische Bauer, der seit Jahrtausenden mit den Jahreszeiten lebt, dessen Lebensideal darin besteht, im Einklang mit der Natur zu leben, kennt nur die ewige Wiederkehr der Zeit, deren Rhythmus durch die unendliche Wiederholung derselben Bewegungen und derselben Worte bestimmt wird.

In dieser Vorstellungswelt, wo alles immer wieder von vorne beginnt, ist kein Platz für das menschliche Abenteuer, und kein Platz für die Idee des Fortschritts. (...) Nie wendet sich der Mensch der Zukunft entgegen. Nie kommt ihm die Idee, aus der Wiederholung auszubrechen, um sich ein Schicksal zu erfinden. Das Problem Afrikas, und erlauben Sie/erlaubt es einem Freund Afrikas, dies zu sagen, liegt darin. Die Herausforderung für Afrika liegt darin, mehr in die Geschichte einzutreten. (...) Das Problem für Afrika liegt darin, aufzuhören, immer zu wiederholen, immer wieder alles von Neuem durchzugehen, sich vom Mythos der ewigen Wiederkehr zu befreien. (Es liegt darin,) sich bewusst zu werden, dass das Goldene Zeitalter, dem es (Afrika) nicht aufhört nachzutrauen, nicht wiederkommen wird, und zwar weil es niemals existiert hat. Das Problem Afrikas liegt darin, dass es in der Gegenwart zu sehr in der Nostalgie des verlorenen Paradieses seiner Kindheit liegt."

Das Afrika, das Nicolas Sarkozy hier beschreibt und das seinem Redenschreiber offenkundig vor Augen schwebte, ist zu weiten Teilen allein deren Vorstellungswelt entsprungen. Ein Afrika, das vom "natürlichen" Rhythmus, von Götterglauben und Magie beherrscht wird und das sich störrisch jedem Fortschrittswunsch verschließt. Ein Afrika, wie es vielleicht in manchen geschlossenen ländlichen Lebensgemeinschaften näherungsweise existiert haben oder existieren mag – das aber mit der Gesellschaft in der pulsierenden Metropole Dakar, wo Nicolas Sarkozy diese seine Ansprache hielt, herzlich wenig zu tun hat.

Dieses reale Afrika, das in den modernen Gro?städten anzutreffen ist, hat vielerorts enorme Probleme: Armut, Hunger, Kriege, Waffenhandel und AIDS. Aber diese Phänomene resultieren nicht aus einem Mythos von der ewigen Wiederkehr des Immergleichen, von der Rückkehr zu einem angeblichen goldenen Zeitalter. Sie erklären sich aus dem Zusammenspiel einer Weltwirtschaftsordnung, die Afrika weitaus mehr schadet denn nutzt, autoritärer und korrupter Regimes, internationaler Finanzinstitutionen und nicht zuletzt auch der Rolle von Großmächten wie beispielsweise Frankreich. Letzteres streitet Nicolas Sarkozy freilich in seiner Rede explizit ab. Denn er führt u.a. auch aus:

"Afrika hat seinen Anteil an seinem eigenen Unglück. (...) Die Kolonisierung ist nicht verantwortlich für alle aktuellen Schwierigkeiten Afrikas. Sie ist nicht verantwortlich für die blutigen Kriege, die die Afrikaner untereinander führen. Sie ist nicht verantwortlich für die Genozide. Sie ist nicht verantwortlich für die Diktatoren. Sie ist nicht verantwortlich für den Fanatismus. Sie ist nicht verantwortlich für die Korruption, für den Raub. Sie ist nicht verantwortlich für Vergeudung und Umweltverschmutzung."

Nun lässt sich dagegen einwenden, dass zwar die historische Kolonisierung (jene des 19. Jahrhunderts im Falle Nord- und Westafrikas) als solche tatsächlich nicht unmittelbar und direkt für die Probleme Afrikas ist - dass aber die Fortsetzung der damaligen Dominanz mit anderen Mitteln ihrerseits durchaus ein gerüttelt' Maß an Verantwortung für die Katastrophen des Kontinents trägt. Selbstverständlich im Zusammenspiel mit lokalen Potentaten und mit den Clans, die in vielen politischen Ländern an der politischen Macht sind und eine hemmungslose Selbstbereicherung betreiben.

Aber wenn man daran denkt, wie etwa ELF Aquitaine nach eigenem Eingeständnis seines früheren Chefs Loïk Le Floch-Prigent die Diktatoren und Präsidenten auswählt oder "platziert", so lässt sich die suggerierte Schuldlosigkeit des Westens, Europas oder Frankreichs wohl kaum gänzlich aufrecht erhalten. Was aber die Genozide betrifft, so stehen die Dinge noch schlimmer, da der jüngste, von den Historikern anerkannte Völkermord der Geschichte an den Tutsi in Ruanda, vom April bis Juni 1994, unter erheblicher Mitwirkung Frankreichs ablief. Tatsächlich unterstützte Paris damals das Regime der ethno-extremistischen "Hutu Power"-Bewegung, auch nachdem es den Völkermord begonnen hatte, um nicht ein Land seiner Einflusssphäre in Afrika zu verlieren.

Darüber und über die direkte oder (überwiegend) indirekte Beteiligung Frankreichs ist in den letzten Jahren sehr viel geschrieben worden. Zuletzt erschien am 3. Juli 2007 eine volle Doppelseite dazu in der Pariser Abendzeitung Le Monde unter der Überschrift "Ruandischer Genozid - Was der Elysée-Palast wusste". Die derzeitige Regierung in der ruandischen Hauptstadt Kigali, die aus den damaligen bewaffneten Opponenten gegen das "Hutu Power"-Regime hervorging, hat Ende 2005 vor diesem Hintergrund die diplomatischen Beziehungen zu Paris abgebrochen.

Aber das Bild, das Nicolas Sarkozy zeichnen möchte, sieht folgenderma?en aus: In fernerer Vergangenheit, zur Zeit unserer längst verstorbenen Vorväter, mag es Unrecht und Fehlentscheidungen von unserer Seite gegeben haben. Sicherlich, die Situation bleibt ambivalent, und es kann kein eindeutiges geschichtliches Urteil über die damalige Periode gefällt werden. Heute dagegen liegen die Fehler bestimmt nicht bei uns, vielmehr ist es heutzutage klar, dass Afrika an seinen Problemen ganz allein oder überwiegend selbst schuld ist.

Reaktionen

Die Zivilgesellschaft und die nicht regierungsgebundene Presse reagierten zunächst weitgehend konsterniert und negativ auf die Auslassungen Sarkozys in Dakar. In einem Überblicksartikel über die Reaktionen fasste die Pariser Tageszeitung Libération ihren Eindruck zusammen: "Am Tag nach dem Besuch Nicolas Sarkozys im Senegal sind die meisten privaten senegalesischen Tageszeitungen empört über die Rede, die der französische Präsident am Vortag hielt." Le Monde hatte unterdessen notiert, Sarkozy habe anlässlich seiner Ansprache "kaum (auch nur) Höflichkeitsapplaus" erhalten. Nur die Pro-Regierungs-Publikation ‚Le Soleil' lobte die "republikanische Statur" des französischen Präsidenten.

Vielleicht die virulenteste unter den senegalesischen Zeitungen war dabei Sud Quotidien, die meinte, der französische Präsident habe sich wohl "in zivilisatorischer Mission" gefühlt. Ihr Leitartikler Walf Fadrji schrieb dazu, er habe sich bei Nicolas Sarkozys Rede an "jene Missionare erinnert gefühlt, die nach Afrika kamen, um unsere Urgroßeltern zu ‚zivilisieren'. Klischees, Klischees und nochmal Klischees. Welch eine Beleidigung!" Seine Zeitung spottete unterdessen, nach der früheren "Françafrique" sei jetzt anscheinend die Ära der "Sarkafrique" angebrochen. Hingegen meinte die Zeitung Le Populaire, Sarkozys Lektion für die Afrikaner laute "zusammengefasst: Hört auf, wehleidig zu jammern!'"

Eine politische Partei im Senegal – die "Sammlung der afrikanischen Arbeiter" - erinnerte ihrerseits an die massive Präsenz französischer Wirtschaftsinteressen im Land und schrieb: "(Sarkozy) ignoriert oder tut so, als ob er nicht wisse, dass das Elend der Afrikaner, deren Länder von Reichtümern überborden, zum Großteil von der Plünderung dieser Länder durch westliche Mächte wie Frankreich abhängt". Die Partei erinnert an die Aufkäufe privatisierter Unternehmen, von der Erdnussverarbeitung – dieses Monokulturprodukt war dereinst durch die französische Kolonialmacht im Senegal in großem Maßstab angepflanzt worden und dominiert bis heute die nationale Wirtschaft – bis zum Mobiltelefon, durch französische Konzerne.

Neue französische Offensive in Afrika?

Nicolas Sarkozys Ansprache in Afrika dürfte im Nachhinein nicht unbedingt zu den Sternstunden seiner politischen Karriere gezählt werden. Der erhoffte politische Effekt, der eine neue französische Charmeoffensive auf dem Kontinent unterstreichen sollte, blieb allem Anschein nach weitestgehend aus.

Dennoch scheint Frankreich seine Präsenz in Afrika massiv erweitern zu wollen. Auch wenn Sarkozy in Dakar betonte, der frühere Begriff vom ‚précarré" (ungefähr: Hinterhof), also die Idee einer von vornherein reservierten Einflusszone, sei "arrogant" und die US-amerikanische sowie chinesische Konkurrenz schrecke ihn nicht. Dies war wahrscheinlich sogar ernst gemeint und gehört - aus Sicht eines (auch) wirtschaftsliberalen Präsidenten - einfach zu einem Zeitalter dazu, in dem es sich so sehr um politische Grenzziehungen, sondern eher um den Versuch der Durchsetzung ökonomischer Macht geht.

Welche Interessen Paris grundsätzlich in Afrika verfolgt, ist leicht zu überblicken. Die verbliebenen Reste des französischen Großmachtstatus hängen unter anderem an der Bereitschaft afrikanischer Präsidialregime, in der UN-Vollversammlung – wenn nötig – en bloc zusammen mit den offiziellen Vertretern Frankreichs abzustimmen. Der Zugriff auf Rohstoffe ist zumindest in den Erdölstaaten nach wie vor von hoher Bedeutung. Neben den USA, die seit den neunziger Jahren verstärkt auf den afrikanischen Kontinent drängen, ist Frankreich nun auch noch ein neuer mächtiger Konkurrent erwachsen, in Gestalt der VR China. Diese macht einen wachsenden Bedarf an Rohölimporten für ihre expandierende Industrieproduktion geltend. Im Sudan ist Peking bereits sehr präsent, und die dortigen Ausfuhren machen bereits 10 Prozent der chinesischen Importe beim Erdöl aus.

Doch dadurch kommt auch das Spiel durcheinander, das die in Afrika präsenten Großmächte in den letzten zehn Jahren geführt hatten. Mitte der neunziger Jahre war die französische Präsenz zunächst unter Druck der erstarkenden US-amerikanischen Konkurrenz geraten. Aber in der Ära der eher "multilateral" orientierten Clinton-Administration zeichnete sich ein Kompromiss ab. An einer multinational gestalteten Konfliktregelung bzw. Krisenbewältigung, deren Schirmherrschaft teilweise die Afrikanische Union (AU) übernehmen würde, sollten die westlichen Großmächte eher im Hintergrund teilnehmen. Auch in Paris war man ganz froh oder erleichtert darüber, und man sprach von einer "Selbstverwaltung der afrikanischen Krisen": Ohne den eigenen wirtschaftlichen Einfluss aufzugeben, wäre man nicht mehr so direkt verantwortlich für die Stabilität der lokalen Regime. Die Stabilisierung von Staaten, in denen oftmals ein Clan oder eine Ethnie alle Macht usurpiert hat wie im Tschad, erwies sich oft als schwieriges Unterfangen. Zudem lie?en die USA unter dem neuen Präsidenten Bush nach 2000 zunächst Afrika eher links liegen, bevor sie ab 2003 ein Comeback unter ihrer eigenen Flagge im Namen des « Antiterrorkrieges » erfuhren : Es galt nun, ein Einsickern des Netzwerks Al-Qaïda in die Sahelzone zu verhindern, etwa durch Einrichtung von Militärstützpunkten.

Aus diesen Gründen klammert Paris sich an seine herkömmlichen Machtpositionen in Afrika. Dennoch akzeptiert Paris eine gewisse Multilateralisierung der Beziehungen zu Afrika, insbesondere weil es mit der Verwaltung von Krisenfolgen und humanitären Katastrophen künftig "nicht allein gelassen werden" möchte.

Konflikt zwischen Deutschland und Frankreich

Im Gegensatz zu den "großen" Akteuren USA, Frankreich und China hat die Bundesrepublik Deutschland bislang auf dem afrikanischen Kontinent politisch nicht viel zu bestellen. In aller Regel reiht sie sich hinter der französischen oder aber der US-amerikanischen Politik ein, was die Positionierung zu zwischenstaatlichen Fragen oder regionalen Konflikten betrifft.

Ökonomisch hingegen ist Deutschland ein wichtiger Akteur, dessen Wirtschaft übrigens auch davon de facto profitiert, dass der Vorgängerstaat der Bundesrepublik seine damaligen Kolonien im Jahr 1918 unfreiwillig verlor. Das war damals zwar eine Konsequenz aus dem Ausgang des Erstens Weltkriegs, die die damaligen politischen Machthaber im Deutschen Reich als schmählich empfanden und keineswegs hinnehmen mochten. Langfristig kam es der deutschen Politik und Wirtschaft jedoch sogar zugute, da sie in vielen afrikanischen Ländern nicht als mit einer (noch in Erinnerung der heute lebenden Generationen befindlichen) Kolonialvergangenheit "belastet" gilt. Deutsche Firmen, Techniker und Experten können oftmals Fuß fassen. Als staatlicher und militärisch auftretender Akteur konnte die Bundesrepublik dabei bislang aber keine wichtige Rolle spielen, zumal es auch noch eine geschichtlich begründete Barriere gibt: Es gibt eine französisch- und eine englischsprachige Zone in Afrika, aber keine deutsche Sprachzone.

Im Augenblick sind die deutschen Entscheidungsträger allerdings auf ihre französischen Kollegen richtig sauer. Haben doch die Franzosen aufgrund von Nicolas Sarkozys gewagtem Sprint nach Tripolis einen Nukleardeal mit Libyen abgeschlossen, über den die deutsche Politik ihren Unmut äußerte. Vom SPD-Politiker Gernot Erler bis hin zum Grünen-Bundesvorstandssprecher Reinhard Bütikofer wetterte man gegen die unverantwortliche Weitergabe von Nukleartechnologie – auch wenn der deutsche Siemens-Konzern mit 34 Prozent an der französischen Atomfirma AREVA (früher COGEMA), die das Geschäft in Libyen tätigt. Allerdings wird diese Beteiligung, die dereinst das Ergebnis eines politisches Deals war – 1989 durfte die (west)deutsche Atomindustrie in die COGEMA als Betreiberin der französischen Plutoniumfabrik in La Hague einsteigen, musste aber im Gegenzug die umstrittenen Pläne für eine eigene deutsche Anlage in Wackersdorf (Oberpfalz) ad acta legen – ab dem übernächsten Jahr wieder zur Disposition stehen. Ab 2009 und noch bis 2011 hat der französische Staat nämlich ein Rückkaufsrecht für den von Siemens gehaltenen Anteil an der AREVA. Er kann also während dieses Zeitraums das Recht geltend machen, den Rausschmiss der Münchener Firma zu beschließen.

In Wirklichkeit dreht sich aber im Augenblick die deutsch-französische Rivalität vorrangig um die Frage, wer die erste Geige innerhalb der EU spielen wird. Die deutsche Ratspräsidentschaft der Union, im ersten Halbjahr 2007, und vor ihr die britische im Jahr 2005 hatten bereits intensive diplomatische Anstrengungen hinter den Kulissen um die Freilassung der vom libyschen Staat festgehaltenen Krankenschwestern unternommen. Ein Beleg dafür: Le Monde hat in ihrer Ausgabe von diesem Freitag ein durch die Europäische Union abgesegnetes Schreiben ausgegraben, worin dem libyschen Staat zugesichert wird, die freigelassenen Krankenschwestern dürften Libyen später nicht juristisch wegen Folter oder übler Haftbedingungen verfolgen. Dieser Brief wurde in der ersten Jahreshälfte 2007 durch den deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier und die EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner unterzeichnet. Die französische Seite war darüber gar nicht auf dem Laufenden, vielmehr glaubte die im Juli nach Tripolis reisende französische Delegation noch, dies sei über die Köpfe der Krankenschwestern und gegen ihren Willen entschieden worden. Sarkozys Emissäre entdeckten dann aber, dass die Gefangenen – entgegen ihrer Erwartung – lautstark ihr Einverständnis für diesen Deal reklamierten, da sie in Wirklichkeit zu dem Zeitpunkt nur eines anstrebten, nämlich aus Libyen raus zu kommen.

Kurz: Die französische Staatsführung hat sich im Falle des Libyendeals in ein längst zuvor von Anderen gemachtes Bett hinein gelegt. Ein frührer sozialistischer Minister, Pierre Moscovici, der im Canard enchaîné zitiert wird, spricht diesbezüglich von einer "Kuckusstrategie". Wohl in Anspielung auf diesen Vogel, der seine Eier bei anderen Vogelgattungen ins (fremde) Nest legt. Darüber waren, unter anderem, die Deutschen deshalb ungehalten. Auch wenn Außenminister Steinmeier im [extern] Interview mit dem Handelsblatt unterstrich: "Wir sind nicht Sarkozys Stilberater." Was immerhin die Aussage impliziert, es habe sich dabei seitens von Nicolas Sarkozy um schlechten Stil gehandelt. Die Überschrift, die ursprünglich sehr viel allgemeiner formuliert war ( "Wir sollten uns nicht als Stilberater aufspielen" lautete sie), ist wenige Stunden später nachträglich verschärft und zugespitzt worden.

Nicolas Sarkozy hat mit dem Libyendeal schlicht die Gelegenheit für sich genutzt, Profil für sich und Verträge für Frankreich herauszuschlagen. Deswegen kam es zum Konflikt mit der deutschen Politik, die sich übervorteilt und übers Ohr gehauen fühlt. Die US-Administration hingegen begrü?te den Deal zwischen Paris und Tripolis ausdrücklich, jedenfalls in der Öffentlichkeit.

ANMERKUNG von BOIS-CAIMAN:
Es ist uns bekannt, dass die Schriften von Bernhard Schmidt über AFRIKA leicht eurozentristisch und zionistisch geprägt sind. Dieser Artikel erschien uns jedoch höchst interessant.


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