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"Ich will irgendwohin, wo es normal ist" - Die elfjährige Melisa erzählt über ihr Lebensgefühl in Wien und ihre Erfahrungen mit Rassismus 2/2

Wie fühlst du dich dann?

Ich bin traurig, ich hab‘ dann das Gefühl, dass‘ mir nimmer gut geht und ich will nach Hause.

Wie reagierst du darauf? Wehrst du dich oder sagst du etwas?

Manchmal sag‘ ich was und manchmal sag‘ ich nix. Ich schimpf‘ zurück und ich hau‘ zurück.

Wie oft wirst du mit Rassismus konfrontiert? Täglich?

Es kommt darauf an, ob ich die Leute sehe. Ich finde dass es nicht so oft ist, keine Ahnung.

Glaubst du manchmal das, was sie sagen?

(zögert) Ein bisschen schon, ich bin mir manchmal unsicher.

Bei wem oder wie suchst du Trost?

Bei meinen Freundinnen und meiner Lehrerin.

Warum, glaubst du, tun die Leute das? oder kannst du es dir nicht erklären?

Nein, ich weiß nicht.

Wenn jemand unfair zu dir ist und nicht direkt sagt, dass es mit deiner Hautfarbe zu tun hat, denkst du dann manch- mal, dass es deswegen ist?

Ja.

Hast du oft Angst, dass dich jemand attackieren wird, wenn du unter Menschen bist?

Ja. Zum Beispiel am Wochenende hat mein Papa meine Haare gebürstet und dann hat er g‘sagt: „Komm, wir gehen einkaufen, lass deine Haare offen“, und ich hab nein gesagt und geweint und dann bin ich in mein Zimmer gegangen. Als er weg war, hab‘ ich sie gleich wieder zugemacht. Weil ich will das nicht, ich weiß, dass mich dann alle auslachen und sagen: „Schau ihre Haare an!“

Haben dich Menschen mit dunkler Hautfarbe schon darauf angesprochen, dass du heller bist als sie?

Nein.

Glaubst du, du wärest beliebter, wenn du weiß wärst?

Nein. Ich glaub‘ aber nicht, dass ich schön bin. Ich will wie die anderen Wiener sein. Ich will auch blonde Haare haben, ich will nicht diese Haare haben, ich will glatte. Wie zum Beispiel die Sarah*, die hat blonde Haare, blaue Augen – ich hab‘ schwar- ze und ich hasse schwarz. Und ich mag meine Haare nicht. Sie kräuseln sich so, wenn ich sie aufmache – bam. Ich hasse das. Ich hab‘ mir überlegt, wenn ich groß bin schneid‘ ich sie ab.

In der Schule hat man es schwer, wenn man „anders“ ist. Ganz ehrlich: ärgerst du selbst auch andere die z. B. dick sind, aus einem anderen Land kommen oder eine andere Religion haben?

Überhaupt nicht. Ich bin das liebste Mädchen von der Schule, wirklich. Kein Scherz!

Hast du schon mal gedacht, dass jemand dein Freund ist, der dich dann aber auch wegen deiner Hautfarbe geärgert hat?

Ja, schon. Da war ich sehr traurig. Ich hab‘ nicht erwartet, dass ein Freund oder eine Freundin von mir so etwas macht. In der zweiten Klasse habe ich eine meiner besten Freun- dinnen einmal beim Donaufest gesehen, sie war mit so „Hip- hop-Kindern“ zusammen. Wir hatten einen Streit, ich weiß nicht mehr, worum es ging, und da hat sie angefangen mich zu beschimpfen. Sie hat gesagt: „Du Neger! Du hast gar nichts zu sagen, ich bin weißer als du, du bist ein Neger!“ Und das hat mich traurig gemacht. In der Schule hab‘ ich drei Wochen nicht mit ihr geredet. Dann hab‘ ich mit der Lehre- rin gesprochen und auch mit ihr und wir haben uns wieder versöhnt und sind wieder gute Freunde. Seitdem hat sie mich nicht mehr beschimpft, aber damals war das vor einigen Kindern, die ich kenne.

Du hast zwei Geschwister, die auch zur Schule gehen. Sprichst du mit ihnen über Rassismus?

Ja, wir erzählen es einander schon, wenn etwas vorgefallen ist und trösten uns gegenseitig.

Und deine Eltern? Was sagen sie dazu?

Ich erzähle es ihnen auch, wenn ich angegriffen wurde. Sie sagen, ich soll nicht zuhören und weitergehen.

Wie reagieren andere, wenn sie mitbekommen, dass du at- tackiert wirst? Helfen sie dir? Verteidigen sie dich?

Ja, sie helfen mir.

Und deine Lehrer?

Ja, die auch. Oft gehen meine Freunde zu meiner Lehrerin und sie hilft mir dann. Es ist auch schon vorgekommen, dass sie deswegen mit einem Kind zum Direktor gegangen ist.

Haben deine Lehrer das Thema Rassismus schon einmal mit der ganzen Klasse besprochen oder habt ihr schon mal eine Projektwoche gemacht?

Ja, auch eine Projektwoche. Wir haben über Afrika geredet und die Lehrerin hat uns erzählt, wie schwer es die Afrikaner in Wien haben. Wir spenden auch gemeinsam für ein Mädchen.

Aber ich meine eigentlich nicht Afrika, sondern Rassismus und all diese Gemeinheiten.

Ja, ich kann mich schon erinnern. In zwei Stunden war das. Über Afrika auch und über Menschen allgemein.

Hast du das Gefühl, dass du dich besonders bemühen musst, um gemocht zu werden?

Ja.

Wenn dir die Leute die dich ärgern einmal wirklich aufmerksam zuhören würden, was würdest du ihnen sagen?

(denkt lange nach) Ich würde sagen: „Ich will wieder nach Hause, weil das macht mich so traurig. Lass mich jetzt bitte in Ruhe.“

Dass sind schon alle meine Fragen. Möchtest du mir noch etwas von dir aus erzählen?

Weißt du, wovor ich Angst habe? Wenn ich einmal groß bin und keine Eltern mehr habe, dann bin ich ganz alleine mit meiner Schwester und dann kann jemand über mich lachen und mich vielleicht hauen oder irgendwas machen. Ich bin froh, dass ich noch klein bin und noch meine Eltern habe.

Wenn du keine Angst haben willst, musst du lernen, dich selbst zu mögen.

Wie? Wie kann ich mich mögen? Zum Beispiel ein Mädchen vom Wohnhaus hat gesagt, ich bin hässlich und das stimmt auch. Meine Haare sind schiach, meine Augen und mein ganzer Körper. Wenn ich groß bin und so hässlich aussehe, dann krieg ich keinen Mann. Ich will eigentlich auch keine Kinder haben. Weil die werden dann so änhlich (wie ich), mit diesen Haaren, und werden beschimpft, dann will ich lieber keine. Wenn ich weiß wie meine Mama wäre, hätte ich schon
gern Kinder, aber mit meiner Hautfarbe will ich keine. Zu mir haben die Kinder gesagt: „Na Melisa, du brauchst keine Babies kriegen, weil dein Kind wird sooo schiach, das wird so schwarz wie du!“

Weißt du, was das Schlimmste ist? Dass die Menschen das zu dir sagen, ist wirklich sehr böse. Aber wenn du selbst auch so denkst, ist das noch viel schlimmer. Denn das heißt, dass du denkst, es sollte Menschen wie dich gar nicht geben. Und das ist besonders übel.

Wieso?

Wieso soll es nicht solche Leute geben wie dich oder wie mich?

(überlegt)

Denkst du auch, dass andere Leute die schwarz sind keine
Kinder kriegen sollen?

(schüttelt den Kopf)

Ja, aber wieso denkst du so über dich selbst?

Weil… (seufzt) weil… Die werden schiach sein. Also, schiach wie ich jetzt bin.
Sie werden ausgelacht und das will ich nicht.

(Ich wiederhole noch einmal, dass rassistische Handlungen auf unfaire Weise zur Stärkung des Ausübenden dienen. Wenn das opfer die Rechtfertigungen akzeptiert, wird die Ungleichheit Realität.)

Ich glaube ich werde das versteh‘n wenn ich groß bin.

Das kannst du jetzt auch schon verstehen. Ich hoffe, dass du weiterhin tapfer bleibst und so mutig, über dieses Problem zu sprechen.

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Nach anfänglicher Skepsis, ob ein so genaues Nachhaken Melisa betrübt machen würde, bekam ich viel positive Rück- meldung in Form von selbst gebastelten Geschenken, Briefen und befreitem Lachen. Das Mädchen war mir zutiefst dank- bar für das eingehende Gespräch. Erwachsenen, die sich mit Kindern beschäftigen und ihre Verantwortung zur Entgegen- wirkung einer rassistischen Entwicklung erkennen, wird der Weg dazu womöglich mit Hilfe folgender Ursachentheorien erleichtert:

Psychologisch orientierte Theorien sehen die Ursachen ras- sistischen Denkens vor allem in psychisch begründeten Ab- grenzungstendenzen zwischen der eigenen Gruppe und
„Fremdgruppen“, die der Stärkung des Identitäts- und Selbstwertgefühls dienen. Dabei spielt die Projektion eige- ner psychischer Komponenten auf die fremde Gruppe eine besondere Rolle bei der Bewältigung innerer Konflikte (Ab- wehrmechanismus). Die Psychoanalytikerin Julia Kristeva meint dazu:

„Der Fremde, Figur des Hasses und des anderen, ist weder das romantische Opfer unserer heimischen Bequemlichkeit noch der Eindringling, der für alle Übel des Gemeinwesens die Verantwortung trägt. [...] Auf befremdliche Weise ist der Fremde in uns selbst“ (Kristeva 1991: 11).

Die Individualität der Menschen zu akzeptieren ist ein erster Schritt; Nivellierung, Ausgrenzung, Überhöhung oder Erniedrigung nicht die einzigen Wege der Bewältigung.

Soziologisch orientierte Theorien erfassen Rassismus als Ideologie, die der Aufwertung der eigenen Gruppe und der Sta- bilisierung des Selbstgefühls dient und so eine Abwertung und Ausgrenzung anderer Menschen vornimmt (URL 1).

Daher bleibt nur noch zu sagen: Kinder mit rassistischen Ten-
denzen und Betroffene verdienen Empowerment!

* alle Namen redaktionell geändert, Anm.

Linda Thornton arbeitet in der Flüchtlingsbetreuung u.a. als Lern- und Freizeitbetreuerin mit Kindern. Ansatzgebend für die Gestaltung des Textes waren Erfahrungen mit Rassismus in der eigenen Kindheit aufgrund ihrer österreichisch-afroamerikanischen Herkunft.

Literatur:
- Interview mit Melisa* in Wien am 28.02.2008
- Memmi, Albert (1972): Racisme. In: Encyclopædia Universalis. Paris. S. 915. -Kristeva, Julia (1991): Fremde sind wir uns selbst. (Dt. v. Xenia Rajewski.)
Frankfurt a.M., Suhrkamp.
- URL 1: http://de.wikipedia.org/wiki/Rassismus://de.wikipedia.org/wiki/Rassismus Zugriff 30.3.2008



KOMMENTAR VON BOIS-CAIMAN:

von Jean-Baptiste Pente 

Man hat zum Teil in diesem Interview den Eindruck, dass das Dasein der Schwarzen einer bestimmten weisser Legitimierung, um die man sich bemühen sollte, bedarf. Dies ist genau die eurozentristisch konstruierte Aporie, in der wir Afrikaner und andere sogenannten Anti-Rassistischen Orgasisationen uns befinden. Man bekämpft eine Krankheit (wenn man sie wirklich bekämpfen möchte...) erfolgreich nur mit geeigneten Gegenmitteln, und hiergegen können sophistische Theorien, Mitleidgefühle und Jammerei der Afrikaner nicht helfen.

Theorie hin Theorie her, Fakt ist, dass der Rassismus, insbesondere gegenüber den Schwarzen, wie wir ihn heute kennen, eine semitisch-europäische Erfindung ist. Wohl bekannt als "White Supremacy" beschreibt Prof. Welsing ihn wie folgt: "Racism (White Supremacy) is the local and global power system and dynamic, structured and maintained by persons who classify themselves as white, whether consciously or subconsciously determined, which consists of patterns of perception, logic, symbol formation, thought, speech, action and emotional response, as conducted simultaneously in all areas of people activity (economics, education, entertainment, labor, law, politics, religion, sex and war), for the ultimate purpose of white genetic survival and to prevent white genetic annihilation on planet Earth - a planet upon which the vast majority of people are classified as nonwhite (black, brown, red and yellow) by white skinned people, and all of the nonwhite people are genetically dominant (in terms of skin coloration) compared to the genetic recessive white skin people."(1)

Aufgrund dieser Realität sind wir der Überzeugung, dass die Demolierung des Anti-Schwarzen Rassismus nur durch die REHABILITIERUNG der WAHREN GESCHICHTE der Afrikaner, die die europäischen Eliten verfälscht hatten, um die Unterwerfung und Versklavung der SCHWARZEN zu rechtfertigen, zu erreichen ist. Cheikh Anta Diop verstand fast prophetisch den Ursprung dieser MAAFA(Katastrophe), die bis heute wie ein weisses Leichentuch die wahre Wahrnehmung der Schwarzen und ihre Nachkommen betrübt. Alle anti-rassistischen Bewegungen sind bis dato nur deshalb gescheitert, weil sie den Ursprung dieses Anti-Schwarzen Übels ignorieren. Man muss hier auch die Ignoranz der Eltern Schwarzer Kinder anmerken, die durch ihre Gerhinwäsche unfähig sind, dieses Übel des weissen Mannes wahrzunehmen. Viele erziehen ihre Sprößlinge nach eurozentristischer Wertesysteme, wo Schwarze meistens rassistisch steorotypisiert werden... Wieviele Afrikaner oder Schwarzen bringen ihren Kindern bei, dass Afrika nicht nur die Wiege der Menschheit ist, sondern der Zivilisation ist ? Dass die ersten Menschen dunkelhäutig, Afrikaner gewesen sind ? Müssen wir unseren Kindern diese Fakten vorenthalten, nur weil die Weissen und die pseudo-offenbarten Religionen (Judentum, Christentum und Islam) durch ihre rassistischen Schriften es so wollen ? Ich persönlich habe mit dem Anti-Rassismus-Kampf nichts am Hut, denn Rassismus (als ausgeklügeltes System, nicht mit plumpen Vorurteilen verwechseln) ist der Afrikanischen Kultur fremd. Die Nachkommen der Erfinder des Rassismus müssen sich selbst von dieser Krankheit kurieren. Die Aufgabe der Afrikaner und derjenigen, die ihnen ernsthaft helfen möchten, sollte darin bestehen, sich von der eurozentristischen Charlatanerie zu befreien, ihre mehr als 10.000 Jahre alte Hoch-Kultur-Geschichte, wonach sie sich inspirieren sollten (oder müssen, wenn sie als älteste Variante der Menschengattung überleben wollen), zu rehabilitieren. Wir müssen sicherlich auch das Wesen der europäischen Kultur, deren Prinzip der Manipulation und einer pathologischen Selbstbezogenheit gründlich studieren, um sich besser bewusst zu werden, gegen welche autistisch-zerstörische Kräfte wir uns seit Jahrhunderten mit unkonventionellen Methoden nur mühsam wehren. Prof. Marimba Ani ist diesbezüglich eine Visionärin: "My chosen field is African-centered cultural science - the reconstruction of a revolutionary African culture. I teach Pan-African studies well means teaching European studies simultaneously. To be truly liberated, African people must come to know the nature of European thought and behavior in order to understand the effect that Europe has had on our ability to think victoriously. We must be able to separate our thought from European thought, so as to visualize a future that is not dominated by Europe. This is demanded by a African-centered view because we are Africans, and because the future towards which Europe leads is genicidal."(2)


(1) Africawithin.com/Welsing on White Supremacy [Zugriff, 11.10.2008]

(2) In: YURUGU - An Afrikan-Centered Critique Of European Cultural Thought and Behavior, Marimba Ani (Hrg.), Nkonimfo Publications, 2007 (Erstausgabe: AWP, 1994), 656 S., S.2


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