[ "Wenn ich groß bin, schneid' ich sie ab": Haare und Hautfarbe als Maßstab der "Normalität" (Bild: DerStandard.at) ]
von Linda Thornton
Jede Sozialwissenschaft muss berücksichtigen, dass Subjektivität dem Menschen untrennbar anhaftet. Wir können Erscheinungen und Mechanismen beschreiben, was wir jedoch nicht vernachlässigen dürfen, ist, die Stimmen der Betroffenen zu hören. Dass Menschen etwas erleben, lässt eine Forschung erst zu. Traurig genug, dass täglich viele Kinder mit Rassimus konfrontiert sind. Hier hat eines davon die Möglichkeit bekommen, sich hörbar zu machen. Melisa* ist elf Jahre alt und lebt gemeinsam mit rund 190 Menschen aus Russland, Armenien, der Ukraine, Bosnien-Herzegowina, Afghanistan und zehn weiteren Nationen in einem betreuten Wohnheim für Flüchtlinge in Wien. Die Solidarität unter den Menschen aufgrund dieser gemeinsamen Lebenserfahrung ist leider gering – im Gegenteil sorgt das Aufeinanderprallen der vielen Kulturen zu Reibereien. Aufgrund ihrer dunklen Hautfarbe nimmt Melisa oft eine vorhersehbare Rolle in den Machtspielchen ein, die Kinder bereits
beherrschen.
Was ist „Rassismus“? Eine allgemeingültige Definition dafür zu finden ist schwierig. Auf den „kleinsten gemeinsamen Nenner“ gebracht, liegt die Funktion von Rassismus in der Legitimierung von aggressiven Handlungen gegenüber den Opfern, um die Vorrangstellung ge- genüber „dem Fremden“ zu sichern. Dabei werden erfundene oder tatsächliche Unterschiede, wie Hautfarbe, Herkunft und Gene, aber auch Sprache, Religion oder Kultur gewertet, verallgemeinert und verabsolutiert um als Rechtfertigung oder Motiv für die Hierarchisierung von Menschen zu dienen (Memmi, 1972: 915 f.).
Diese Erklärung habe ich gemeinsam mit meiner Gesprächspartnerin Meisa in kindgerechter Sprache beleuchtet, bevor sie meine Fragen beantwortete.
Erzähl mir ein bisschen von dir: wie alt bist du, woher kommst du und seit wann lebst du in Österreich?
Ich bin elf und komme aus der Ukraine. Seit fünf Jahren bin ich hier. Meine Mutter und meine kleine Schwester waren noch in der Ukraine, mein Vater hat mich dann abgeholt, weil die Leute in der Ukraine mögen keine dunk- len Menschen. Ich war eine Zeit lang bei ihm im Sudan, bevor wir uns alle wieder in Wien getroffen haben.
Hast du viele Freunde in deiner Schule und im Haus, in dem du lebst?
Also im Wohnhaus nicht, aber in der Schule viele. Es ist nur hier (im Haus, Anm.) so schlimm, weil hier sind so viele Kinder und meine Geschwister und ich sind die einzigen, die braun sind. Nur diese Afghanistan-Mädchen, die sind meine Freundinnen, die anderen beschimpfen uns oft, wenn wir sie sehen. Das nervt mich und ich möchte sie hauen, so fest ich kann. Ich halte das nicht aus.
Aus welchen Ländern kommen die Kinder in deinem Freundeskreis? Eine paar sind aus Wien, ein paar kommen aus der Türkei und aus Polen. Hast du auch Freunde mit dunkler Hautfarbe?
Nein, ich kenne nur ein paar in der Schule, aber das sind nicht meine
Freunde.
Deine Mutter kommt aus der Ukraine, dein Vater aus dem Sudan, jetzt bist du in Österreich: fühlst du dich hier zu Hause oder glaubst du, dass dein Platz woanders ist?
Ich glaube, woanders.
Wo?
Naja, ich fühl‘ mich hier nicht wohl, weil hier sind so viele Menschen weiß … ich will zurück, irgendwohin wo es normal ist.
Dorthin zurück wo du schon warst oder ganz woanders hin?
Ganz woanders.
Denkst du manchmal, dass die Österreicher nicht wollen, dass du hier bist?
Nein.
Das ist gut. Aber wer sind die Leute, die dir mit Rassismus begegnen?
Das sind Kinder, Erwachsene, ein paar alte Omas und Opas, ein paar kenne ich und ein paar nicht.
Wie sehen die rassistischen Übergriffe aus? Sind das Beschimpfungen, körperliche Gewalt, versuchen diese Menschen auch, andere gegen dich aufzuhetzen?
Ja, es tun sich oft mehrere zusammen und sie wollen mich dann schlagen und lachen über meine Farbe. Sie sagen auch sehr viele gemeine Dinge.
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