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"Die Wahrheit hat viele Facetten" - Der venezolanische Präsident Hugo Chávez im Interview mit der US-Journalistin Barbara Walters 3/3

Teil III: "Vorwärts zum Sozialismus!"

Ich würde Ihnen gerne einige Fragen zu anderen Themen stellen, etwa zur Kritik an Ihrer Regierung. Sie haben gesagt, daß Venezuela Pressefreiheit hat, aber Sie haben Pläne, die Lizenz eines Fernsehsenders nicht zu verlängern (gemeint ist der oppositionelle Sender Radio Caracas Televisión, RCTV, dessen Lizenz Ende Mai 2007 auslief – d. Red.), und Sie haben gesagt, daß auch andere sie nicht verdienen. Das scheint keine Pressefreiheit zu sein. Erlauben Sie also jede Form der Kritik gegen Sie und gegen Ihre Regierung in allen Medien?

Alles, alles. Über mich haben sie gesagt, daß ... Sie haben meine Mutter ins Fernsehen gezerrt. Über mich sagen sie, was sie wollen, in gesprochenem Wort, mit Bildern, Humor der mich persönlich lächerlich machen soll, schriftlich und so weiter und so fort.

Und du kannst hier keinen Journalisten finden, der im Gefängnis sitzt, oder ein Medium, das geschlossen wurde, weil es die Institutionen oder den Präsidenten der Republik beleidigt hat.

Ich schwimme eher, Barbara, wie ein Fisch im Wasser inmitten der Meinungsfreiheit. Ich bezweifle, und ich sage das wirklich ohne Übertreibung, ich bezweifle, daß ein Land auf diesem Planeten existiert, in dem es eine größere Freiheit der Ideen, der Gedanken und der Meinung gibt als hier in Venezuela.

Also, eine Fernsehstation ...

Was passiert mit diesem Fernsehsender? Es hat für einigen Wirbel gesorgt, daß Sie ihm die Lizenz verweigern.

Ganz einfach. Das ist ganz einfach ein Unternehmen. Es gibt eine Verfassung, danach gehören die Fernsehfrequenzen dem Staat, also der Nation, und der Staat hat die verfassungsmäßige und gesetzliche Möglichkeit, einem Unternehmen eine Lizenz zu geben oder auch nicht. Die Lizenz dieses Unternehmens läuft aus, der Staat ist nicht einverstanden mit dem Verhalten dieses Unternehmens, und die Frequenz wird frei und steht zur Verfügung, damit sie durch andere Unternehmen des Staates oder ein anderes Unternehmen genutzt werden kann. Wir werden sehen, was wir mit der Frequenz machen, aber wir schließen keinen Fernsehkanal, wie es suggeriert wird.

Eine Lizenz läuft aus, und zwar entsprechend dem Gesetz, und es beginnt eine neue Etappe, das ist eine ganz einfache Sache.

Aber Sie sind der Staat, und dieser Fernsehsender hat Sie kritisiert, deshalb jetzt die Kritik, und man denkt, daß Sie deshalb die Lizenz dieses Fernsehsenders nicht verlängern.

Alle, alle kritisieren mich offen, und es steht ihnen frei, mich zu kritisieren. Wenn du rausgehst und auf den Straßen fragst und eine Umfrage machst, dann versichere ich dir, daß der größte Teil dieses Landes einverstanden ist mit der Entscheidung, die die Regierung getroffen hat. Denn gehen wir zum Grundsätzlichen zurück: Wenn du einen Rechtsanwalt engagierst, damit er dich verteidigt, oder du vermietest dein Haus für fünf Jahre, und du bist nicht zufrieden, du als Eigentümerin des Hauses bist nicht zufrieden mit der Familie, die dein Haus bewohnt, und der Vertrag läuft aus, dann hast du die Möglichkeit, ihn zu verlängern oder eben auch nicht. Wer könnte das kritisieren? Das ist die Befugnis des venezolanischen Staates, das ist die Souveränität des venezolanischen Staates. Und ich versichere dir, mit dieser Maßnahme – hör mir gut zu, Barbara – wird es in Venezuela mehr Meinungsfreiheit geben. Diese Maßnahme ist für die Meinungsfreiheit, denn weißt du, wo die Meinungsfreiheit beschnitten wurde? Auf diesem Kanal. Am Tag des Putsches hat dieser Sender zum Beispiel, als ich entführt war und das Volk hier den Palast zurückeroberte, Zeichentrickfilme gezeigt.

Das heißt, der Fernsehkanal zensiert. Du kannst zum Beispiel Andrés Izarra interviewen. Andrés Izarra hat einige Zeit bei CNN gearbeitet, er ist ein venezolanischer Journalist. Andrés Izarra war Chefredakteur dieses Kanals am Tag des Staatsstreichs. An diesem Tag kündigte er, weil sie ihm verboten hatten, auch nur eine Nachricht zu senden, die von der Regierung oder dem Präsidenten Chávez handelte. Das heißt, wenn in diesen Jahren irgendwo die Meinungsfreiheit verletzt worden ist, dann auf diesem Kanal, dessen Lizenz jetzt ausläuft. Es wird in Venezuela jetzt mehr Meinungsfreiheit geben, da bin ich mir ganz sicher.

Herr Präsident, Sie haben nicht das beste Ansehen in unserem Land, das wissen Sie. Was ist die häufigste Fehlwahrnehmung, die man von Ihnen hat? Sagen Sie selbst.

Sieh mal, hier kam einmal George Bush her, um mich zu besuchen. George Bush Father, und wir haben gesprochen, ich kannte ihn schon. Ich habe ihn einmal in Houston besucht, als ich schon Präsident war. Er kam einmal her, und wir sprachen, und er sagte: Ihr größtes Problem in den Vereinigten Staaten ist die Wahrnehmung. Nun gut, gegen mich ist ein Medienkrieg entfesselt worden, ein regelrechter Medienkrieg.

Ich sprach einmal mit einer Frau in den Vereinigten Staaten, die mich fragte, warum ich ein Feind der Vereinigten Staaten bin. Und ich habe sie gefragt: Und warum glauben Sie, daß ich ein Feind der Vereinigten Staaten bin? Sie sagte mir: Ich habe es in den Zeitungen gelesen, ich habe Ihr Foto mit Saddam Hussein gesehen, Ihr Foto mit Fidel Castro, Ihr Foto mit Gaddafi, und ich sagte ihr: Nun gut, Fidel ist mein Freund, zu Hussein fuhr ich, um ihn zu begrüßen, ich habe ihn durch eine Staatsangelegenheit kennengelernt.

Aber ich sagte ihr: Sie haben sicherlich niemals in den Vereinigten Staaten meine Fotos mit Johannes Paul II. gesehen, von den beiden Malen, als ich ihn besucht habe, oder meine Fotos mit Bill Clinton, wir haben uns mehrfach gesehen. Sie, einige Medienrichtungen, veröffentlichen nur die Fotos, die zu der Absicht passen, Hugo Chávez zu dämonisieren, und das ist nicht gerecht, was sie dem Volk der Vereinigten Staaten antun. Ein Freund des Volkes der Vereinigten Staaten wie ich wird mißhandelt und als Feind des Volkes der Vereinigten Staaten dargestellt.

Es ist so, wie Galeano sagte, Eduardo Galeano: »Seht die Sonne in der Mitte der Nacht, das ist die Welt verkehrt herum.« Ich glaube, ein Feind des Volkes der Vereinigten Staaten ist George Bush, besonders ein Feind der Armen der Vereinigten Staaten, und nicht ich. Welches Leid habe ich dem Volk der Vereinigten Staaten angetan? Absolut keines. Welches Leid könnte ich dem Volk der Vereinigten Staaten antun? Ich tue keinem Volk der Welt Leid an. Was wir wollen, ist helfen, wir wollen wirkliche Freunde sein.

Sie sind, könnte man sagen, ein Fan von Präsident Clinton, aber die Senatorin Hillary Clinton sagte, daß Sie ein gegen die USA gerichtetes Gefühl verbreiten, und sie sagt, wir sollten Energie sparen, um nicht so viel Erdöl von Venezuela zu kaufen. Was verdienen diese Kommentare für eine Reaktion?

Ich habe sie nicht gelesen. Ich habe sie nicht gelesen, aber ich glaube, was du mir sagst. Für Führungspersönlichkeiten ist es nicht sehr ratsam, sich in dieser Weise zu äußern, und ich denke, Frau Clinton ist eine solche Führungspersönlichkeit – sie bewirbt sich schließlich um die US-Präsidentschaft. Du fragst mich zu einer Sache, die sie gesagt haben soll, und ich, ohne daß ich volle Kenntnis davon hätte, könnte der Versuchung erliegen, sofort zu antworten.

Ich würde es vorziehen, ihre Erklärungen erst einmal im Kontext zu sehen. Ich habe auch gesehen, oder ich habe gelesen, daß Präsident Clinton Sachen gesagt hat, auch im Zusammenhang mit mir, über »Autoritarismus«. Ich in jedem Fall hätte der Frau Clinton gesagt, daß sie sich besser informieren sollte, denn ich glaube, wer in den letzten sechs Jahren am meisten zum gegen die USA gerichteten Gefühl beigetragen hat, war Präsident George Bush. Ihr US-Bürger habt den schlechtesten Werber der Welt. Bezogen auf das Bild von den Vereinigten Staaten trägt er die Hauptschuld an diesen Gefühlen. Siehst du nicht die großen Proteste bei seinem Besuch in Lateinamerika, bis heute gab es Proteste in Mexiko, in Guatemala, große Kundgebungen. Ist das die Schuld von Chávez? Wer so etwas sagt, ist desinformiert oder seine Meinung ist verzerrt, völlig verdreht.

Ich würde auch gern über die Kriminalität in Ihrem Land sprechen, denn wir hören von Entführungen, von Überfällen, Diebstählen. Mir hat man gesagt, daß ich nicht allein auf die Straße gehen solle. Sie sind jetzt seit acht Jahren Präsident, und es gibt immer noch viele Probleme mit der Kriminalität.

Ich glaube, wer immer dir das gesagt hat, daß du nicht auf die Straße gehen sollst, übertreibt, oder? Caracas ist eine Stadt, in der man sich bewegen kann. Ach so, es gibt Risiken? In aller Welt gibt es Risiken. Und die Kriminalität ist eines der großen Übel unserer Gesellschaften, vor allem von Gesellschaften wie der venezolanischen, die noch gekennzeichnet ist von einer großen Ungleichheit, einer Minderheit, die sich bereichert hat, und einer verarmten Mehrheit. Das ist der Nährboden für das Verbrechen, für die Gewalt. Es steht in der Bibel: Der einzige Weg zum Frieden ist die Gerechtigkeit, und genau deshalb ist meine größte Anstrengung, unsere größte Anstrengung, die Armut zu verringern, die Ungleichheit zu verringern. Und in dem Maße, wie wir das tun, nimmt auch die Gewalt ab. Venezuela war vor zehn, 15 Jahren ein sehr, sehr gewalttätiges Land. Hier gab es fast jeden Tag Plünderungen, Volksaufstände, lahmgelegte Städte, ausufernde Gewalt. Gibt es das noch? Ja, das gibt es, aber in geringerem Ausmaß.

Und in dem Maße, in dem unsere sozialen Pläne greifen und Erfolg haben, und vor allem unsere Wirtschaftspläne, wird die Gewalt abnehmen.

Ich würde Sie auch gerne nach Ihrem persönlichen Leben fragen. Sie trinken gerne Kaffee? Ich sehe, daß Sie ein begeisterter Kaffeetrinker sind.

Ja, aber du hast deinen noch gar nicht getrunken. Er muß doch jetzt kalt sein!

Wollen Sie meinen haben?

Du hast ihn nicht getrunken, und jetzt ist er kalt. Gut, trinke ich ihn, oder? Besser, wenn ich ihn trinke. Ich trinke ziemlich viel Kaffee, mehr als gut ist.

Sie trinken zu viel Kaffee.

Magst du keinen Kaffee?

Doch, aber ich trinke nicht 20 Tassen am Tag wie Sie.

Ich trinke mehr als 20 am Tag. Manchmal verdünne ich ihn mit Wasser, tue ein bißchen Kamille hinein, aber ich mag Kaffee sehr gerne. Ich bin zwischen Kaffeepflanzungen aufgewachsen, als ich Kind war, und meine Oma schickte mich los: »Huguito, hol mir einen Beutel Kaffee!« Und ich ging zu den Kaffeepflanzen, ich habe mich daran gewöhnt, schon den reinen Geruch von Kaffee mag ich, mag ich sehr. Aber ich bin auch in der Lage, dem Kaffee abzuschwören, wenn mir jemand beweist, daß er mir schadet, aber das war bislang nicht der Fall. Vor einem Monat, weniger als einem Monat, hat mich mein Ärzteteam einer allgemeinen Untersuchung unterzogen, und ich bin mit 100 Punkten rausgekommen. Also tut mir der Kaffee nichts, ich verarbeite ihn gut. Aber ich wäre in der Lage, auf ihn zu verzichten, wenn es sein müßte, so wie ich, aufgrund einer Verpflichtung dem Volk gegenüber, auf die intimsten Dinge verzichtet habe.

Man verläßt das Heim, die Kinder sehe ich manchmal. Man verläßt also das Liebste, man schiebt beiseite, was man am liebsten hat. Mich hat es begeistert, Hausmann zu sein, mich hat es begeistert, am Freitag abend nach Hause zu kommen, meine Frau und meine kleinen Kinder zu einem Spaziergang einzuladen, zu einem Strand, zum Pizzaessen oder zum Baseballspielen und die Kinder dann dort Baseball spielen zu sehen oder sie zum Schwimmen mitzunehmen, sie zur Schule zu bringen, mit ihnen abends die Hausaufgaben zu machen. All das, was das tägliche Leben eines Menschen ausmacht, das schiebt man beiseite. Man schiebt es beiseite, und man entbehrt es.

Ich mochte den Hund im Haus, den Geruch von Mango, die Nachbarn, Domino spielen, ins Feld zu reiten. All das schiebt man beiseite, aber ich habe es beiseite geschoben, und es fällt mir nicht wirklich schwer, weil ... Wie José Martí sagte: »Mit den Armen der Erde möchte ich mein Glück verbinden«, es ist für die Armen der Heimat.

Sie sind derzeit nicht verheiratet? Möchten Sie eine Ehefrau haben, oder sind Sie mit der Revolution verheiratet?

Es ist sehr schwer, sich zu verheiraten. Ich hatte zwei Ehen und vier Kinder, jetzt habe ich schon zwei Enkel. Es ist sehr schwer.

Sieh mal, einem großen Freund, der für mich ein Lehrer ist, habe ich von einem Liebeskummer erzählt, und er sagte mir, analytisch, tiefgreifend, ehrlich, er sagte mir: »Hugo, du hast noch nicht verstanden, daß du auf dem Wagen des Gottes Mars fährst.« Es ist ein ständiger Kampf, der dir die Stunden nimmt, der dir die Nächte raubt, der dir die Samstage raubt, der dir die Sonntage raubt, es gibt keine Zeit, es gibt keinen Raum für dich.

Nun gut, diesen Wagen, sagte er mir, besteigt die Göttin Venus nur mit Mühe, und wenn sie zusteigt, ist sie sehr unruhig, sehr unruhig. Und wahrscheinlich steigt sie wieder ab.

Ich habe einmal eine Frau sehr geliebt, und ich mußte ihr sagen ... wir mußten entscheiden, es war für beide schmerzhaft, daß sie wegging, und ich sagte ihr: »Geh leben, geh leben, denn ich habe schon gelebt, und ich kann dich nicht zwingen, nicht zu leben.« Und wenn ich sage, nicht leben, dann geht es um das alltägliche Leben, darum, ins Kino zu gehen, ein freies Wochenende zu haben, Flitterwochen – das alles ist sehr schwierig, verstehst du? Aber klar, ich habe hier mein Herz, hier ist mein Herz. Ich habe auch Blut in den Adern.

Nun gut, ich werde keine weiteren Fragen zu diesem Thema stellen. Sie wurden in einem sehr einfachen Haus geboren, in einer sehr einfachen Familie. Sie wurden von Ihrer Großmutter erzogen, aufgrund der Umstände. Was haben Sie während Ihrer Kindheit über die Armut gelernt?

Ja, wir waren eine Bauernfamilie, und meine Mutter und mein Vater waren Lehrer an einer Schule, sie arbeiteten auf dem Land, tief in der Provinz. Meine Großmutter hatte ein Haus im Dorf, und meine Mutter kam zur Geburt in das Haus meiner Großmutter. Mein älterer Bruder und ich blieben bei der Großmutter – aber immer sehr nah, es war nicht so, daß uns Mama und Papa verlassen hätten. Nein, sondern wir lebten in ihrer Nähe, und am Ende lebten im Haus meiner Großmutter mein Bruder und ich mit der Großmutter und 50 Meter entfernt das Haus von Papa und Mama und den anderen vier Geschwistern, so daß wir alle zusammen aufgewachsen sind; es war also nicht so, daß ich mit meiner Großmutter alleine gewesen wäre. Nein, aber sie lehrte mich viele Dinge, die Bescheidenheit, sie war sehr großzügig, sie brachte mir Lesen und Schreiben bei und sprach mit mir viel über das Leben.

Sie sagte mir zum Beispiel: »Du taugst nicht zum Militär, denn du bist zu begabt, du bist ein Erfinder, du erfindest so viel.« Aber wie sagt ein Lied hier: Sie lehrte mich, keine Schmetterlinge zu töten, sie lehrte mich, das Brot zu teilen, sie lehrte mich, den anderen zu respektieren und vor allem die einfachsten Menschen zu lieben, die Ärmsten, sie war für mich ein Vorbild. Sie hieß Rosa, Rosa Inés Chávez. Sie war Nachfahrin von Indios, sie war wie eine Indianerin, mit sehr langem Haar, und sie hatte ein Profil wie eine echte Indianerin, sie war eine ganze Venezolanerin.

Meine Mutter ist weiß, mehr oder weniger, meine Mutter ist so wie du. Mein Vater ist schwarz, mein Vater ist ziemlich dunkel, Sohn von Rosa Inés, indianisch, mit meinem schwarzen Großvater; Indio, schwarz und weiß und so bin ich geboren, eine »wilde Mischung«, wie wir hier sagen, eine Kombination: weiß, schwarz, indianisch.

Sie identifizieren sich also mit Barack Obama?

Äh, wie bitte?

Mit Barack Obama. Kennen Sie ihn?

Ah ja, ich habe ihn bei einer Rede gesehen, er ist Vorkandidat, oder? Aber du fragtest mich, ob ich mich mit ihm identifiziere, ist das die Frage?

Ja, denn er ist auch eine Mischung aus Ethnien wie Sie, weiß und schwarz.

Das reicht nicht. Du weißt, das reicht nicht. »Das Ordenskleid macht noch keinen Mönch.« Man müßte sehen, wie es in seinem Inneren aussieht.

Ich kenne sehr gute weiße Leute, und ich kenne sehr schlechte Schwarze, aus meiner Sicht, wobei die nicht endgültig ist. Hoffentlich, ich wiederhole mich an diesem Punkt, kommt an die Präsidentschaft der Vereinigten Staaten eine Person, ein vollwertiger Mensch, mit dem wir vielleicht sogar Freundschaft schließen, einen Dialog, eine Debatte führen können, wer auch immer, das entscheidet ihr.

Wenn wir Wahlen haben, hoffen Sie auf eine Veränderung in den Beziehungen zu den Vereinigten Staaten?

Ja, ich warte sehnsüchtig darauf.

Der Sozialismus hat in der Mehrzahl der Länder nicht funktioniert, warum gehen Sie zurück, also zum Sozialismus?

Nein, wir gehen vorwärts!

Ja, aber es ist Sozialismus, es bleibt Sozialismus.

Ja, der Sozialismus ist ein historischer Prozeß. Ich glaube, daß Christus ein Verkünder dessen war, was man später als Sozialismus kennt. Christus kam, um für die Gleichheit zu kämpfen, für die Freiheit, für die Würde. Vergleichen wir zwischen Kapitalismus und Sozialismus. Der Kapitalismus ist das Reich der Ungleichheit. Der Sozialismus führt, muß führen zum Reich der Gleichheit und deshalb zur Gerechtigkeit und deshalb zum Frieden. Was ist der Grund für die Kriege? Die materialistischen Bestrebungen. Der Grund für Invasionen? Die materialistischen, kapitalistischen Bestrebungen.

Der Kapitalismus bedroht den Planeten Erde und das Leben der künftigen Generationen. Es geht um einen Sozialismus der Zukunft, einen neuen, den ich den Sozialismus des 21. Jahrhunderts nenne: grundlegend demokratisch und humanistisch.

Kann es also gleichzeitig Demokratie und Sozialismus geben?

Klar. Ich glaube, daß ist der Kern der Sache. Der Kapitalismus ist antidemokratisch, auch wenn er sich eine demokratische Maske aufsetzt. Der Sozialismus, der mir vorschwebt, muß außerordentlich demokratisch sein. Hier bauen wir zum Beispiel den Sozialismus auf, unseren Sozialismus, ohne irgendeinen anderen zu kopieren. Eine Sache ist Kuba, eine andere Sache ist Venezuela. Eine Sache ist China, Vietnam, wir bauen unseren Sozialismus aus unserer Sicht auf. Aber eines der grundlegenden Prinzipien ist, Barbara, daß, wenn wir die Armut beseitigen wollen, wir den Armen Macht geben müssen. Hoffentlich kannst du in die Barrios gehen, um zum Beispiel mit den Leuten der kommunalen Räte zu sprechen. Das ist Demokratie, und das ist das wichtigste Saatkorn des neuen Sozialismus: die Demokratie.

Ja, tatsächlich habe ich eines der Barrios besucht und mit einigen Personen gesprochen, und diese fühlen, daß Sie ihr Leben verändert haben, sie sagen, daß sie jetzt Wasserversorgung in ihren Häusern haben, daß die Regierung ihnen Geld gegeben hat, damit sie ihre Lebensbedingungen verbessern können. Man sieht Veränderungen.
Und zwar radikale Veränderungen! Jetzt haben sie dort Ärzte im Barrio, jetzt haben sie medizinische Einrichtungen, jetzt haben sie vollkommen kostenlose Kliniken mit den modernsten Tomographen der Welt, Anlagen für Elektrokardiogramme, für Elektroenzephalogramme, hochentwickelte medizinische Geräte. Jetzt haben sie Schulen, die Bolivarischen Schulen, in denen die Kinder frühstücken, zu Mittag essen und nachmittags eine Zwischenmahlzeit bekommen. Das ist vollkommen kostenlos, einschließlich der Computer, mit Sport, Kultur.

Jetzt bauen wir Häuser, sie organisieren die kommunalen Räte, sie haben in den städtischen Barrios die Landkomitees, die Gesundheitskomitees, die Wasserkomitees, die Komitees für Stromversorgung und sie bekommen Mittel, damit sie selbst ihre Probleme lösen können.

Wenn wir mit der Armut Schluß machen wollen, müssen wir den Armen Macht geben, und die erste Macht ist das Wissen. Moral und Bildung, daran arbeiten wir überall. Venezuela hat, wie du weißt, was aber fast niemand auf der Welt weiß, weil es nicht verbreitet wird, Venezuela hat den Analphabetismus beseitigt, und die UNESCO hat Venezu­ela zu einem vom Analphabetismus freien Gebiet erklärt. In Lateinamerika, auf dem amerikanischen Kontinent und ich glaube weltweit gibt es nur zwei vom Analphabetismus freie Gebiete: Kuba und Venezuela.

Jetzt sind wir in Bolivien, denn Venezuela hat einen Mechanismus zur Zusammenarbeit mit dem gesamten Kontinent. Wir haben gemeinsam mit Kuba Alphabetisatoren in Bolivien, und wir haben Ärzte, die nach Überschwemmungen, nach Tragödien die Armen betreuen. Wir haben den Weg für eine Zusammenarbeit mit dem gesamten lateinamerikanischen Volk geebnet.

Präsident, Sie sprechen sehr wenig Englisch, nur ein bißchen, oder? Würden Sie eine Botschaft in englischer Sprache an die Menschen in den Vereinigten Staaten, an das Volk der Vereinigten Staaten richten?

I like very much the English. When I was a boy, a student, my notes were very good; twenty points, nineteen, eighteen. I studied English. My English teachers were very friend of mine. I remember my English book, one lesson of my book: English book one: New York, New York is an incredible city were the people live on the ground, travel under the ground and works in the sky. It was the lesson. I like the English but I don't speak English, is very short.

Könnten Sie eine Botschaft an das Volk der Vereinigten Staaten in englischer Sprache richten?

If you want I'll try. Yes, to the people of the United States. All the women, all the men, all the boys, here in this country we, Venezuelan people loves you, wants to be your brother. I want to be your brother. I believe we can – you and us – to live in this world as brothers, in a new world: with justice, peace. I love very much a great leader of you: Martin Luther King is my leader. You know, he said: »I have a dream«, Martin Luther King's dream is your dream, is our dream, is my dream. Thank you very much.

Danke, Herr Präsident.

Ich sagte dir ja schon daß ... Ah, Fidel, we want to ... Wie sagt man interviewen auf Englisch? ... interview. Ah! We want to interview you, Fidel.

Ich hoffe, wir konnten viele Aspekte über Sie und das Land klären.

Danke, danke.

Vielen Dank. Danke, Herr Präsident. Versprechen Sie mir etwas, geben Sie keine weiteren Interviews von heute bis Sonntag, bitte.

Von heute bis Sonntag? Heute ist Dienstag? Mittwoch? Donnerstag, Freitag, Samstag, Sonntag. Nein, nein, ich habe nur mein Programm Aló (die wöchentliche Fernsehsendung »Aló, Presidente« – d. Red.)

Darf ich in Ihr Programm kommen?

Ja, if you want.

Gut, wir werden sehen, ob wir kommen können, ja.

Today. Eighteen.

Eighteen.

This, this.

Um sechs?

Six o'clock, yes.

Gut, ich werde versuchen zu kommen, ich würde sehr gerne kommen.

Yes.

Ist es hier? Wir werden versuchen zu kommen. Vielen Dank, Herr Präsident.

Ich danke dir. Danke.


Nota:
Übersetzung aus dem Spanischen: André Scheer; Quelle: Ministerium der Volksmacht für Kommunikation und Information der Bolivarischen Republik Venezuela

Das Interview erschien in drei Teilen am 28., 30. und 31. Juli in der "jungen Welt"


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