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EUROPA: Alice Schwarzers Kampf für die Frauen-Festung

EUROPA: Alice Schwarzers Kampf für die Frauen-Festung

Von Elisa Simantke


Alice Schwarzers „FrauenMediaTurm“ sollte weniger Fördergeld bekommen. Als eine Ministerpräsidentin das beschloss, sprang eine Bundesministerin rettend herbei. Doch so einfach ist das nicht. Und das liegt nicht nur an der Sache.

Am Ende steht eine Frau in der letzten Reihe auf. „Ich wollte Sie etwas fragen.“ Ihre Stimme zittert. Alice Schwarzer streckt sich, um von der Bühne aus besser zu sehen. Sie hat extra das Licht in der Duisburger Stadtbibliothek anschalten lassen, um ihrem Publikum in die Augen schauen zu können. Sie will wissen, mit wem sie es zu tun hat. „Wie halten Sie die Gemeinheiten aus, mit denen manche Menschen Ihnen begegnen?“, fragt die Frau. Schwarzer lehnt sich wieder zurück. „Wenn mir einer richtig mies und niedrig kommt, dann laufe ich zu großer Form auf“, sagt sie.

Jemand ruft: „Weiter so!“ Schwarzer lacht. Sie lacht viel an diesem Abend, an dem niemand sie angreift. Eine Frau nach der anderen steht auf, um sich bei Alice Schwarzer für ihren Kampf zu bedanken. Ein Kampf, für sich und für die Frauen. Das ist irgendwie dasselbe.

Als Alice Schwarzer die Bibliothek verlässt, in der sie aus ihrer Autobiografie gelesen hat, ist es schon fast Mitternacht. Mehr als eine Stunde hat sie Bücher signiert. Gleich wird sie bei einem Italiener in Bahnhofsnähe mit Freunden noch einen Wein trinken. Schwarzer ist so schnell nicht müde. Am nächsten Tag wird sie zurück nach Köln fahren und im Kölner „FrauenMediaTurm“ die Schlussfassung der aktuellen „Emma“ abnehmen. Der Turm, in dem die Redaktion und ein von Schwarzer gegründetes Frauenarchiv sitzen, ist Rückzugsort und zugleich Schauplatz des aktuellsten Schwarzer-Kampfs.

Vordergründig geht es darum, wer das Frauenarchiv fördern soll und darf. Die rot-grüne Landesregierung in Nordrhein-Westfalen – damals noch handlungsfähig – strich das Geld zusammen. Bundesfamilienministerin Kristina Schröder will einspringen. Doch so einfach ist das nicht. Alle behaupten, es gehe ihnen nur um die Sache. Eigentlich aber geht es um Alice Schwarzer.

Der mittelalterliche Turm am Rhein hat schon vielen Feinden getrotzt. Früher war er mal Teil der Stadtmauer, heute liegt er direkt an einer sechsspurigen Straße. Eine schmale Steintreppe führt auf der Straßenseite zum Eingang im ersten Stock, trotz Öffnungszeit ist die Metalltür geschlossen. Zwei Klingeln: Einmal Bibliothek, einmal Stiftung. Für die „Emma“-Redaktion gibt es keine. Rein kommt man nur, wenn innen jemand den Summer drückt. Alice Schwarzer und ihre Mitarbeiterinnen sind sich der Festungssymbolik bewusst. Die Archivarin Jasmin Schenk, die hinter der Metalltür wartet, sagt: „Das hier war seit jeher ein Symbol für Macht und Freiheit.“ Umso wichtiger, dass der Turm nun in Frauenhand sei. Die Treppe zum Frauenarchiv im vierten Stock führt vorbei an Lesenischen, die mit Kissen ausgelegt sind. Ganz oben ein großer, heller Raum mit Bücherregalen bis zum Glasdach. Hier archiviert die Stiftung „FrauenMediaTurm“ unter dem Vorsitz von Alice Schwarzer die Geschichte der Frauenbewegung mit Schwerpunkt auf der Zeit ab 1971. Ein Erbe, das der Staat unbedingt fördern muss, findet Schwarzer.

Die 1984 gegründete gemeinnützige Stiftung hat viel Geld in die Renovierung des Turms gesteckt und ihn zehn Jahre später bezogen. Bis 2004 trug eine Millionenspende von Jan Philip Reemtsma das Archiv. Doch auf Dauer reichten private Spenden nicht aus, zum Überleben braucht die Stiftung nach eigenen Angaben mindestens 250 000 Euro im Jahr. Schwarzer machte sich auf die Suche nach staatlicher Unterstützung. Jürgen Rüttgers, zu dieser Zeit Ministerpräsident der CDU / FDP-Landesregierung von Nordrhein-Westfalen, sprang der Feministin bei. Und das ziemlich großzügig. Ab 2008 bekam die Stiftung 210 000 Euro jährlich. Die Förderung war auf zehn Jahre angelegt. Versprochen, sagt Schwarzer.

Der damalige Kulturstaatssekretär Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff betont heute allerdings, die Förderung sei nur bis zur nächsten Wahl im Jahr 2010 fest zugesagt worden. Die brachte Rot-Grün an die Regierung, und damit begannen die Probleme. Die „rot-grüne Frauenregierung“, so genannt, weil die Hälfte des Kabinetts und die Ministerpräsidentin Hannelore Kraft weiblich sind, kürzte den Stiftungsetat im Jahr 2011 auf 140 000 und für 2012 auf nur noch 70 000 Euro. Man fördere auch sonst kein Frauenarchiv, hieß es. Und Geld sei knapp. Alice Schwarzer traf diese Entscheidung hart. Mit einer Förderung von 70 000 Euro im Jahr müsse sie schließen, sagte sie. Sie sprach vom „Todesstoß“.

Kritik am "FrauenMediaTurm"

Auch bei der Lesung in Duisburg ein paar Wochen später war das ein Thema. Und Alice Schwarzer sagte: „Ich kann mich so über Frauen aufregen, so sehr kann ich mich über Männer gar nicht ärgern.“ Die Frauen im Saal johlten. Verrat unter Frauen schmerzt doppelt. Genau das sah Schwarzer: Verrat an der Sache. An ihrem Werk. Und auch: an ihr.

In Wirklichkeit seien die Mittel nämlich nicht gestrichen, sondern an andere Projekte vergeben worden, man wolle sich an ihr rächen. In ihrem Blog fragte sie: „Was sind die wahren Gründe für die Streichung?“ Sie vermutete die in den Tiefen Kölner Lokalpolitik: Auch die Grünen hätten in den 90ern gerne den Wehrturm bezogen, Schwarzer aber habe den Zuschlag erhalten. Die grüne NRW-Frauenministerin Barbara Steffens komme aus Köln und begleiche auf Landesebene nun alte Rechnungen. „Quatsch“, entgegnete die. Sie habe kein Problem mit Schwarzer. Doch da ist es zu spät, die Debatte dreht sich längst um Alice Schwarzer, und daran ist nicht nur die schuld. Auch die Grünen stürzten sich auf die Prominente. „Wir fördern keinen Elite-Feminismus“, sagte der Grünen-Landesvorsitzende Sven Lehmann der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.

Wie man ein Archiv mit chronischem Geldmangel leitet, könnte Schwarzer von Sabine Balke lernen. Die ist Leiterin des Lesbenarchivs „Spinnboden“ in Berlin-Mitte und die Vorsitzende des Dachverbands der Frauen- und Lesbenarchive „ida“, in dem auch der „FrauenMediaTurm“ organisiert ist. Balke steht vor Regalen, die hinter ihr bis zu den Altbaudecken aufragen und sortiert Zeitschriften. Hunderte Kartons lagern auf den obersten Brettern. Der „Spinnboden“ ist nach dem „Herstory“ in New York das größte Archiv zur Lesbenbewegung auf der Welt. 70 000 Euro bekommen die Frauen vom Senat, zahlen ähnlich wie Schwarzers Stiftung knapp 17 000 Euro Miete. Bedingungen, unter denen Alice Schwarzer wohl längst geschlossen hätte.

Am Rhein hat man sich nach der Kürzungsankündigung heftig ineinander verkeilt. Die Debatte drehte sich um Details: Schwarzer und die Politik stritten über Öffnungszeiten und darüber, wie schnell man einen Termin im Turm bekommt. Es drängte sich der Eindruck auf, die Landesregierung versuche Schwarzers Archiv die Förderungswürdigkeit abzusprechen. Doch unter Genderforschern hat es einen guten Ruf. Kein Wunder, würde Alice Schwarzer sagen: Wenn sie ein Projekt betreut, dann richtig, das hat sie immer klargemacht. Auch deshalb kränkt sie der Vorwurf, das Archiv diene nur als Recherchepool der „Emma“-Redaktion. Überhaupt die „Emma“. Eine gemeinnützige Stiftung und ein kommerzielles Magazin sitzen unter einem Dach. Das führt immer wieder zu Gerüchten, Schwarzer trenne nicht genug zwischen beidem. Beweise gibt es dafür keine. Auch die rot-grüne Landesregierung sieht bei den Mittelverwendungen für 2008, 2009 und 2010 keine Verstöße. Schwarzer droht nun mit juristischen Schritten, sollte die Behauptung, sie vermische Redaktion und Archiv, nochmals abgedruckt werden. Ein letztes Mittel gegen die Übermacht der bösen Sätze.

Wenn auf beiden Seiten Frauen streiten, bleibt das Wort „Frauenstreit“ nicht aus. Viele männliche Redakteure besuchten Schwarzer und den Turm. Die Berichte hatten Folgen: Am 10. Februar klingelt Alice Schwarzers Handy. Am anderen Ende ist wieder eine Frau, Kristina Schröder, Deutschlands Familienministerin. Sie wolle helfen, sagt sie. Die Summe beisteuern, die von den Rot-Grünen gestrichen wurde. 150 000 Euro, vier Jahre lang. Beide lachen. Ein „Schulterschluss“ unter Frauen, „echt souverän“, jubelt Schwarzer in ihrem Blog.

Auch Schröder und Schwarzer hatten einen „Frauenstreit“. Das war 2010, da sagte Schröder in einem „Spiegel“-Interview, für Schwarzer sei der heterosexuelle Geschlechtsverkehr kaum möglich ohne die Unterwerfung der Frau, und das halte sie für falsch. Schwarzer tobte. Sie schrieb einen sehr wütenden offenen Brief und bezeichnete darin Schröder als „hoffnungslosen Fall“. Für das Ministerinnenamt „schlicht ungeeignet“. Nun also die große Versöhnung, der Sache wegen. Um „bedeutende Zeugnisse dieser bedeutenden Bewegung“ zu erhalten, wie Schröder in ihrer Pressemitteilung verlauten lässt. Es könnte also alles gut sein.

Schulterschluss zwischen Kristina Schröder und Alice Schwarzer

Doch wo ein Turmfrauen-Märchen enden würde, geht das wahre Leben weiter. Kristina Schröder handelte schnell, vielleicht zu schnell. Elf Tage nach dem Telefonat geben Turm und Ministerium am 21. Februar eine Pressemitteilung heraus. Sie verkünden die Rettung des „FrauenMediaTurms“. Der Schulterschluss soll dabei so weit gegangen sein, dass die Mitteilung von der Stiftung vorgeschrieben und vom Ministerium nur redigiert wurde, sagt eine mit dem Vorgang vertraute Person.

In der Pressemitteilung nennt Ministerin Schröder die Streichung einen „Skandal“ und stößt damit die Landesregierung vollkommen vor den Kopf. „Diese unpassende Wortwahl fällt auf die Ministerin zurück. Sparsame Haushaltsführung ist kein Skandal, sondern verantwortungsvolle Politik“, ärgert sich Landesregierungssprecher Thomas Breustedt. Überhaupt habe das Ministerium nie nachgefragt, wieso man gekürzt habe oder Unterlagen über das Projekt angefordert.

Tatsächlich bleibt offen, wie Schröder das Projekt vorab geprüft haben will. Einen förmlichen Antrag hat Schwarzer bisher nicht gestellt. „Wir befinden uns aber in vorbereitenden Gesprächen mit dem Ministerium“, schreibt Schwarzer in einer E-Mail Anfang März. Das Ministerium rechtfertigt sich: „Es gibt seit Jahrzehnten eingespielte Überprüfungsverfahren.“ Weitere Details will es nicht nennen, das Geld ist aber schon eingeplant. Bei Fragen zur geplanten Mittelverwendung solle man sich bitte an die Stiftung wenden.

Wegen des Geldes gibt es jetzt neuen Ärger. Die Grünen im Bundestag, von ihren Landesgrünen darauf angesetzt, haben die Zahlen von Kristina Schröder eingefordert und nachgerechnet.Für ihren Mediencoup mit dem Frauenturm werden viele kleine Frauenprojekte die Zeche zahlen müssen, da die bereits eingeplanten Mittel nun dafür fehlen“, sagt Sven-Christian Kindler, Mitglied der Grünen im Haushaltsausschuss. Die Bundesfamilienministerin wehrt sich: Sie müsse nirgendwo streichen. Doch das ist nicht die einzige Frage, der sich Schröder und auch Schwarzer stellen müssen. In ihrer gemeinsamen Erklärung preisen die beiden den „FrauenMediaTurm“ als „Universalarchiv“, Schwarzers Stiftung betont auch an anderer Stelle, wie einzigartig das Archiv sei. Das ärgert die anderen 36 Frauenarchive. Der Turm sei nur ein Baustein von vielen, sagen sie. Sie fordern gleiches Recht für alle.

Die Berliner „Spinnboden“-Frauen bemühen sich schon seit Jahren um Bundesmittel. Sie wollten keine schnellen Projektmittel, sondern eine Dauerlösung. Schröders Vorgängerin Ursula von der Leyen lehnte das Anliegen ab, das Familienministerium sah sich nicht zuständig. „Das muss sich jetzt eigentlich ändern“, sagt Sabine Balke. „Wir hoffen, dass diese Anerkennung nicht nur Frau Schwarzer zukommt.“ Doch das Bundesfamilienministerium bleibt bisher der Meinung, das Prinzip „alle oder keiner“ sei eben nicht umsetzbar. Vielleicht sind es solche politischen Wahrheiten, die Solidarität in dieser Geschichte so schwer machen.

In Duisburg ist es während des Leseabends einmal am Abend ganz still gewesen. Jemand hat Alice Schwarzer gefragt, ob sie denn nie des Kämpfens müde sei. „Manchmal schon“, sagte sie und holte Luft, als wollte sie noch etwas hinzufügen. Eine Drohung? Kokettierte die 69-jährige mit dem Ende ihrer Karriere? Allein im Scheinwerferlicht auf der kleinen Lesebühne blickte die Provokateurin, die Prominente, die Polarisierende zurück ins Publikum. Das wartete. Dann wechselte Schwarzer zur nächsten Frage.


26.03.2012

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