Mehr als 20 Jahre nach der Wende steht fest: „Ossis“ sind kein eigener Volksstamm. Mit dieser Begründung hat das Arbeitsgericht Stuttgart am Donnerstag die Klage einer Frau abgewiesen, die als Ostdeutsche keine Stelle bei einer schwäbischen Firma bekam.
Ostdeutsche können einem Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart zufolge nicht gegen eine auf Grund ihrer regionalen Herkunft abgelehnten Stellenbewerbung wegen Diskriminierung klagen. Ostdeutsche seien kein eigener Volksstamm und könnten sich in solchen Fällen nicht auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz berufen, teilte das Gericht am Donnerstag mit. „Unter ethnischer Herkunft ist mehr zu verstehen als nur regionale Herkunft“, sagte der Vorsitzende Richter zur Begründung. Geklagt hatte eine gebürtige Ostberlinerin, die sich diskriminiert fühlt, weil sie bei einer Stellenbewerbung angeblich aufgrund ihrer Herkunft abgelehnt wurde.
[ Die rein „interne Notiz” sei versehentlich an die Klägerin gelangt, sagt das beklagte Unternehmen ]
Gabriela S., die seit 22 Jahren im Großraum Stuttgart lebt, hatte sich im vergangenen Sommer bei dem Stuttgarter Fensterbauer beworben. Die 48-Jährige wurde abgelehnt. Auf den zurückgesandten Bewerbungsunterlagen hatte die Firma handschriftlich ein Minuszeichen vermerkt und dahinter das Wort „Ossi“.
Das Gericht führte aus, die Gemeinsamkeit ethnischer Herkunft könne sich in Tradition, Sprache, Religion, Kleidung oder in gleichartiger Ernährung ausdrücken. Außer der Zuordnung zum ehemaligen DDR-Territorium fehle es bei den „Ossis“ an diesen Merkmalen, zumal die DDR nur wenig mehr als eine Generation, nämlich 40 Jahre lang, eine von der Bundesrepublik unterschiedliche Entwicklung genommen habe.
Der Arbeitsrechtler Wolfgang Däubler hatte in der ARD-Sendung „Fakt“ erklärt, er könne sich durchaus vorstellen, dass die Menschen aus den neuen Bundesländern „eine eigene Ethnie“ seien. Sie hätten eine spezifische Geschichte und eigene Standards. Sie seien beispielsweise „typischerweise etwas bescheidener“.
[ Gabriela S. berät sich in Kirchheim unter Teck mit ihrem Anwalt Wolfgang Nau ]
Die Klägerin hatte einen Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz geltend gemacht, wonach niemand wegen seiner ethnischen Zugehörigkeit benachteiligt werden darf. In Paragraf 1 heißt es: „Ziel des Gesetzes ist es, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.“
Die vor der Wende in die Bundesrepublik übergesiedelte Klägerin Gabriela S. hatte gesagt, die Bezeichnung „Minus-Ossi“ habe sie auf sich als Person bezogen.
Die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Christine Lüders, äußerte „absolutes Verständnis“ für die Klägerin. Sie sagte im SWR, Menschen dürften nicht aufgrund ihres Geburtsortes benachteiligt werden. Zur Vermeidung solcher Klagen müssten aber nicht unbedingt die Kriterien des Gleichbehandlungsgesetz erweitert werden. Probleme dieser Art seien zu vermeiden, wenn in Bewerbungsverfahren künftig „anonymisierte Lebensläufe“ vorgeschrieben würden. Ohne Angabe von Namen, Adresse, Geburtsdatum, Familienstand und ohne Foto-Beilage könne einer voreiligen Diskriminierung vorgebeugt werden (Antidiskriminierungsstelle fordert: Bewerbungen ohne Foto, Name und Geschlecht).
Unternehmen beklagt mediale Aufmerksamkeit
Der beklagte Arbeitgeber hatte den Vergleich abgelehnt, weil er keine Schuld bei sich sieht. Geschäftsführer Rainer E. verwies darauf, dass dem Unternehmen durch die mediale Aufmerksamkeit „ein Riesenschaden“ entstanden sei. Es habe bereits weniger Aufträge. Zudem seien bis zu 100 beleidigende Anrufe auch bei ihm zu Hause eingegangen. Er bezeichnete das öffentliche Austragen des Falls als „Hexenjagd“ auf die Firma.
E. zufolge sei das Minus auf der Bewerbung ein Zeichen für die „fehlende Qualifikation“ gewesen. Der Ausdruck „Ossi“ sei positiv gemeint gewesen. Das Unternehmen habe „sehr gute Erfahrungen“ mit Mitarbeitern aus Ostdeutschland. Die rein „interne Notiz“ sei versehentlich an die Klägerin gelangt. Das Unternehmen habe sich damals telefonisch umgehend dafür entschuldigt.
Gabriela S. kann nun binnen eines Monats gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berufung einlegen, über die das Landesarbeitsgericht Stuttgart zu entscheiden hätte.
(Aktenzeichen: Arbeitsgericht Stuttgart 17 Ca 8907/09)
Text: FAZ.NET
Bildmaterial: dpa
23. April 2010
1 Kommentare:
Merci, schon interessant!
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