|
Mahamadou Diarra |
MALI - »Militärputsch kann Vorwand für Intervention bieten«
In Mali stürzen Soldaten Regierung von Amadou Toumani Touré. Ein Gespräch mit Mahamadou Diarra
Interview: Benjamin Beutler
Mahamadou Diarra ist Koordinator des Radionetzwerkes Radio Kayira und führendes Mitglied der linken Oppositionspartei »Afrikanische Solidarität für Demokratie und Unabhängigkeit« (SADI) in Mali, die im Parlament vier von 147 Sitzen hält.
Vier Tage nach dem Staatsstreich ist Malis Hauptstadt Bamako weiterhin unter Kontrolle rebellierender Soldaten. Mitte vergangener Woche haben die rangniedrigen Truppenteile von Malis Streitkräften Präsident Amadou Toumani Touré, ATT genannt, mit Waffengewalt aus dem Amt geputscht. Welchen Auslöser gab es dafür?
Gründe, um gegen den Präsidenten zu sein, gibt es viele: Inkompetenz bei der Lösung sozialer und wirtschaftlicher Probleme, Korruption, eine drohende Nahrungsmittelkrise, Unregelmäßigkeiten im Vorfeld der Nationalwahlen und eines Verfassungsreferendums Ende April, das die Stärkung seiner Macht vorsieht. Das Faß endgültig zum Überlaufen gebracht hat wohl die wachsende Unzufriedenheit innerhalb der Armee. Der Staatsstreich geht von den niedrigen Rängen aus, an dessen Spitze Hauptmann Amadou Sanogo steht, Sprecher und zweiter Mann ist Leutnant Amadou Konaré. Sie sagen, daß sie sich von der eigenen Regierung im Stich gelassen fühlen.
Im Norden sind Tuareg-Rebellen der »Nationalen Bewegung für die Befreiung des Azawad«, MNLA in der Offensive. Eine andere Rebellengruppe, die islamische »Ansar Din«, hat nach der Einnahme von Aguelhok, Tessalit und Tinezawaten den Vormarsch auf Kidal, die wichtigste Stadt im Nordosten, angekündigt. Auch die »Al-Qaida im islamischen Maghreb«, die AQMI, hat seit Anfang des Jahres wieder Erfolge verbuchen können. Nach dem Sturz von Ghaddafi im Nachbarland Libyen sind 300 Tuareg-Offiziere, die Teil der libyschen Streitkräfte waren, mit schweren Waffen in Malis Norden zurückgekehrt und sorgen für Unruhe. Die Stimmung in der regulären Armee ist also auf dem Tiefpunkt. Für sie gibt es keine Munition, wenig Essen, die Situation in den Militärcamps ist unerträglich. Zuletzt gab es Protestmärsche von Müttern und Frauen der Soldaten. Der Putsch ist also keine große Überraschung, auch wenn Regierung und Medien gerne das Gegenteil behaupten.
Am Sonnabend haben alle großen Parteien den Putsch als »Rückschlag für die Demokratie« verurteilt. Was sind die Forderungen der Militärjunta?
Das »Nationale Komitee für die Belebung der Demokratie und Erneuerung des Staates«, CNRDRE, will eine Regierung der nationalen Einheit. Das Land steckt in einer tiefen Krise. Mit Schuld ist die Privatisierungspolitik von Präsident Amadou Toumani Touré. Stellen Sie sich vor, wir haben kaum öffentliche Universitäten, Tausende Studenten stehen auf der Straße, nur eine Minderheit kann sich Studiengebühren in Höhe von 1,5 Millionen CFA, rund 2300 Euro, leisten. Wegen Dürre droht im Norden eine Hungerkatastrophe. Die Arbeitslosigkeit ist hoch. Das Rebellenproblem ist weiter ungelöst.
Meine Partei, die SADI, fordert seit Anfang des Jahres den Rücktritt des Präsidenten. Wir finden, daß er gegen die Interessen Malis und dessen Souveränität handelt. Das »Abkommen von Algier 2006« mit den Rebellen, das die Regierung lange vor der Öffentlichkeit geheimgehalten hat, sieht einen Rückzug der Regierungsarmee aus dem Norden vor und erlaubt Rebellenbombardements durch die mauretanische Luftwaffe. Nur die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit, bei der alle Kräfte Malis an einen Tisch kommen, wird das Land wieder auf die Beine bringen. Die Absetzung des Präsidenten mit anschließendem offenen Dialog unterstützt auch die SADI.
Also keine Wahlen Ende April?
SADI führt schon lange eine Kampagne gegen die Wahlen, auch für das Verfassungsreferendum haben wir für ein »Nein« geworben. Wie kann man Wahlen unter den genannten Umständen abhalten? Über 150000 Malier sind auf der Flucht im Ausland. Nicht nur die SADI war von den Wahlen ausgeschlossen. Abstimmungen kann es nur geben, wenn sie wirklich fair und transparent sind.
Welche Rolle spielen die alte Kolonialmacht Frankreich und die Vereinigten Staaten, die mit Militärberatern im Land sind?
Experten sagen schon lange, ganz Afrika kann von Mali aus kontrolliert werden. Frankreich und auch die USA haben dafür den Militärstützpunkt Tessalit im Auge, hier gibt es eine Landebahn. Doch seit kurzem ist die Stadt in Händen der Nord-Rebellion. Der zu lasche Umgang von ATT mit den islamistischen Kräften ist Washington und Paris ein Dorn im Auge. Der Putsch könnte also als Vorwand für eine Militärintervention in Mali dienen.
26.03.2012
-
Jungewelt.de
0 Kommentare:
Kommentar veröffentlichen