von Jan Süselbeck
Wer da glaubte, wir lebten in einer aufgeklärten und von Vernunft geprägten Gesellschaft, den belehrt Wolfgang Wippermanns Studie "Rassenwahn und Teufelsglaube" über die traurige Realität.
Noch Ende des letzten Jahres, erfahren wir bereits in der Einleitung des schmalen Bändchens, stellten Kaufleute im Emsland Besen in die Türen und Fenster ihrer Läden.
"Gefragt, was dies solle, erklärten sie, daß sie damit Sinti und Roma daran hindern wollten, ihre Geschäfte zu betreten - und ihre Waren zu stehlen", berichtet der Berliner Geschichtsprofessor. Damit nicht genug: "In der gesamten norddeutschen Tiefebene, bis hin nach Berlin-Niederschönhausen breitete sich die 'Zigeunerbesen'-Sitte aus" - und das Phänomen sei keineswegs verschwunden, wie Wippermann betont.
"Doch warum benutzten die emsländischen Kaufleute ausgerechnet Besen, um ihre sozialen und rassistischen Vorurteile zum Ausdruck zu bringen? Dies konnte ich mir zunächst nicht erklären", schreibt Wippermann. Er machte sich also auf die Suche nach der historischen Herkunft des eigentümlichen Brauchs und musste feststellen, dass es sich um einen mittelalterlichen Aberglauben handelt: Besen galten damals als Symbole des Teufels, mit denen man jedoch gleichzeitig auch die angeblich verkehrt herum auf ihnen reitenden Hexen und den leibhaftigen Satan verjagen könne.
Mit anderen Worten: In der norddeutschen Tiefebene und darüber hinaus gelten Sinti und Roma offenbar auch heute noch als lebendige Sendboten des Teufels, denen man mit irrationalem Hokuspokus entgegenzutreten habe. "Die 'Zigeunerbesen'-Geschichte ist [...] nicht nur ein Beweis für das Vorhandensein von antiziganistischen Vorurteilen", wundert sich Wippermann, "sondern auch dafür, daß viele Menschen immer noch an Teufel, Vampire und anderen Unsinn glauben. Und dies im 21. Jahrhundert!"
Der Historiker von der Freien Universität Berlin nimmt diese ernüchternde Erkenntnis in seinem Buch zum Anlass, mittels einer historischen tour d' horizon durch die Jahrhunderte herauszuarbeiten, inwiefern Rassenwahn und Teufelsglaube bis heute verbunden geblieben sind - ja, sich sogar gegenseitig zu bedingen scheinen. Nicht nur, dass der bereits von Friedrich Schleiermacher (1768-1834) theologisch für so "haltungslos" befundene Teufelsglaube, "daß man ihn niemandem mehr zumuten" könne, bis heute von bigotten Fundamentalisten in beiden christlichen Konfessionen, im Islam und auch der jüdischen Religion propagiert wird. Auch der aus der Aufklärung heraus enstandene naturwissenschaftliche Wahn einer Existenz menschlicher Rassen, dessen Genese dialektisch mit der Bekämpfung des religiösen Aberglaubens verknüpft war, scheint heute - in wachsender zeitlicher Distanz zu den deutschen Genoziden des Zweiten Weltkriegs - weltweit eine gefährliche Renaissance zu erfahren.
Wippermanns Hypothese besteht nun darin, den historischen Konnex von Rassenwahn und Teufelsglaube anhand "strukturelle[r] Ähnlichkeiten" ihrer politischen, ideologischen und am Rande auch psychologischen Hintergründe aufzeigen zu können, um damit "wissenschaftliches Neuland" zu betreten. Der Autor ist sich dabei jedoch durchaus auch der Problematik bewusst, dass sein ideologiegeschichtliches Vorgehen von einer anfechtbaren, zwangsläufig reduzierten Quellenauswahl getragen wird und daher die angestrebte "Repräsentativität von Texten und Bildern", die er analysiert, relativ bleiben muss.
Das ändert nichts daran, dass Wippermanns vielleicht eher kulturwissenschaftlich als fachhistorisch bedeutsame Untersuchung auf bestürzende Weise kenntlich macht, wie lebendig irrationale und rassistische Denkmuster auch über die Zäsur von Auschwitz hinaus geblieben sind und wie sehr ihre zersetzende Analyse gerade heute wieder nötig geworden ist: Der lebendige Rassenwahn entpuppt sich in Wippermanns Untersuchung als säkularisierter Teufelsglaube, und am Ende bleibt die beängstigende Vermutung stehen: "War das 20. [Jahrhundert] eine 'Zeit der Ideologien' (Karl Dietrich Bracher), [so] scheint das 21. Jahrhundert zu einem Zeitalter fundamentalistischer Glaubenskämpfe zwischen den vermeintlich 'Guten' und 'Bösen' zu werden".
Das pathologische Vertrauen in die angebliche Existenz solcher tatsächlich immer bloß ideologisch konstruierter Ideen und Bilder von "Gut" und "Böse" wurde laut Wippermann in Europa zu allererst aus fragwürdigen Bibelexegesen gewonnen, die der langjährige Dozent des Pädagogisch-Theologischen Instituts der Evangelischen Kirche in Berlin Dank profunder Schriftkenntnis zu hinterfragen weiß. Dabei betont er allerdings in kritischer Absetzung von den gängigen theologischen Exegesen der heutigen Zeit, dass es zwecks eines Verständnisses der Geschichte des Rassismus eben nicht darauf ankomme, wie man die Bibel jetzt verstehe, sondern darauf, wie man sie früher gedeutet habe und welche Folgen diese fatalen Interpretationen zeitigten: Werwolfs- und Hexenwahn, jahrhundertelange inquisitorische Folterungen, Kreuzzüge, wachsender Antisemitismus und Rassismus, Pogrome und (moderner) Massenmord.
Zwar durchschreitet Wippermann die betreffende Geistesgeschichte auf dem kurzen Raum, der ihm zur Verfügung steht, geradezu in Windeseile, doch seine pointierte Kritik der einzelnen ideengeschichtlichen Stationen, die vor polemischen Seitenhieben nicht zurückschreckt, hat es in sich.
Selbst angesehene und kanonisierte Geistesgrößen wie Immanuel Kant und Martin Luther werden uns hier mit entlarvenden Zitaten vorgestellt, die vom allgemeinen Ansehen dieser Dioskuren her zwar eher unbekannt sind, aber gleichwohl deutlich machen, wie auch diejenigen, die der Aufklärung unschätzbare Dienste erwiesen, an den haarsträubendsten Theorien festhalten konnten, ja eigens weiter Hass und Rassismus predigten.
Laut Kant hatten "die Negers von Afrika von der Natur kein Gefühl", sondern nur ein "faules", "weichliches" und "tändelndes" Wesen. Sie seien der Bildung zwar fähig, aber nur zu einer solchen "der Knechte, d.h. sie lassen sich abrichten". Luther geißelte einerseits den irrationalen katholischen Ablasshandel, hielt aber andererseits am unchristlichen Teufelsglauben und einem rabiaten Antisemitismus fest, dessen in Kirchenkreisen bis heute opportune Verharmlosung als "Antijudaismus" Wippermann zu kritisieren nicht müde wird: "Es gibt keinen Zweifel: Luthers verschwörungshypothetisch begründete und auf dem Teufelsglauben basierende Judenfeindschaft hatte einen exterminatorischen Charakter".
Hier bekommen denn auch diejenigen interpretatorischen Verrenkungen evangelischer Theologen ordentlich ihr Fett weg, die bis heute versuchen, Luthers antisemitische Hasspredigten als bloße "Altersentgleisungen" oder "ungelenke Ausdrucksform" abzutun.
"Zigeuner", "Juden" und "Neger" wurden in der Geschichte stets als "minderwertige Rassen" abgestempelt, wie Wippermann in informationsdichten, dennoch aber gut lesbaren Abrissen zeigt - wobei es tatsächlich verblüfft zu sehen, wie oft alle drei Minoritäten in aller Welt mit dem Bild des Teufels in Verbindung gebracht wurden und werden. Wippermann veranschaulicht seine Kapitel zusätzlich mit gut ausgewählten Abbildungen mittelalterlicher und moderner Inkonografien des Hasses und der Xenophobie, die seiner Studie geradezu Schulbuch-Qualitäten verleihen.
Der Band ist wohl daher auch weniger als die in der Einleitung versprochene historische Pionierleistung denn als gelungene Einführung in die Geschichte des Rassismus und seiner Verwurzelung in der Religion zu lesen: Alle typischen Ritualmordlegenden, wahnhaften Kannibalismusvorwürfe und hirnrissigen Weltverschwörungskonstrukte, die gerade heute nicht nur in der islamischen Welt wieder lebendiger denn je erscheinen, fasst Wippermann kenntnisreich und knapp zusammen, um ihre Haltlosigkeit Schritt für Schritt zu entlarven.
Dies kann auch hierzulande gar nicht oft genug wiederholt werden: Bedenkt man etwa, dass gerade erst auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse an den Ständen mit iranischer Literatur ganz unverhohlen die einst in Russland gefälschten "Protokolle der Weisen von Zion" feilgeboten wurden, ohne dass dies von einer breiteren Öffentlichkeit zur Kenntnis genommen wurde oder irgendwelche naheliegenden Konsequenzen nach sich zog, so erscheint Wippermanns Büchlein als umso wichtiger.
Bedauerlich ist allerdings, dass es der Frank & Timme Verlag offensichtlich nicht für nötig befunden hat, den Text zu lektorieren. Fast auf jeder Seite finden sich Tipp- und Rechtschreibfehler sonder Zahl, fehlende oder überzählige Leerzeichen, Wortauslassungen, stehengebliebene Redundanzen und stilistische Flüchtigkeitsfehler, die leicht zu beheben gewesen wären, wenn man das Manuskript auch nur einmal gegengelesen hätte: ein mangelnder Respekt, den ein solches Buch nicht verdient hat.
Frank & Timme Verlag, Berlin 2005.
155 Seiten, 24,80 EUR.
ISBN-10: 3865960073
17.02.09
0 Kommentare:
Kommentar veröffentlichen