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Wir unverkrampften Rassisten - Das Notizbuch eines Deutschen

Wir unverkrampften Rassisten - Das Notizbuch eines Deutschen über die merkwürdige Ignoranz, mit der in Deutschland selbst die gesellschaftliche Mitte über Diffamierung anderer Menschen nicht diskutieren will

von Matthias Dell

Am 20. Januar wird Barack Obama in das Amt des US-Präsidenten eingeführt. Bei den Reaktionen auf seine Wahl Anfang November überraschte Silvio Berlusconi mit der Charakterisierung, Obama sei "jung, ansehnlich und sogar gebräunt". Es ist leicht, diese Äußerung als rassistisch abzutun. Das haben die meisten hiesigen Betrachter so gesehen, und deshalb könnte man zu dem Schluss kommen, Deutschland habe kein Problem mit einem schwarzen US-Präsidenten.

Dass es nicht ganz so leicht ist, zeigt der Blick auf weitere Reaktionen. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung veranschaulichte den Wahlsieg Obamas mit einer Greser-&-Lenz-Karikatur, auf der das Weiße Haus zu sehen war, das schwarz angestrichen wird. In der ersten Schmidt & Pocher-Sendung nach der Wahl wurde von Obamas Verwandten in Kenia zur Persiflage einer Ratgebersendung übergeleitet, die den Energieverbrauch unter Kannibalen problematisierte. Die Titanic präsentierte auf ihrem Dezember-Titel "Obamas Schattenkabinett" - eine schwarze Seite, auf der nur Augen und Münder zu sehen waren, die an die Darstellung von Schwarzen in der Hochzeit des Kolonialismus erinnerten.

Daran hat sich öffentlich kaum jemand gestört außer Betroffenen wie dem schwarzem Entertainer Ron Williams, der im Interview mit dem Deutschlandfunk - wo häufiger von "Farbigen" die Rede war - darauf hinwies, dass er nicht "farbig" genannt werden wolle. Dabei ist äußerst bemerkenswert, dass die Berlusconi-Äußerung als diffamierend erkannt wird, die FAS-Karikatur aber nicht. Beide Male geht es um Obamas Hautfarbe, die in beiden Fällen als etwas dargestellt wird, das - durch Sonnenbad oder Anmalen - aufgetragen wird. Warum wird nun aber nur Berlusconi als problematisch begriffen? Berlusconi hat seine Äußerungen zum Scherz erklärt. Selbst wenn man ihm das als schlechte Ausrede unterstellte: Worin lag der Scherz der "Karikatur"? Sie illustrierte einen Text, der von Obamas Wahlsieg handelte. Ihr einziger Witz war ein rassistisches Klischee (Schwarze sind bloß angemalt), die das Historische an der Wahl Obamas zurückwirft auf das, was sie erst historisch gemacht hat: die Diffamierung von Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe.

Damit wären wir bei dem eigentlichen Problem. Es wird hierzulande, was den Rassismus betrifft, mit zweierlei Maß gemessen. Nimmt man die Reaktion des DLF-Moderators, der auf den Hinweis von Ron Williams verdattert seine bereits gestellte Frage noch einmal wiederholte, könnte man meinen, den meisten weißen Deutschen sei ihre problematische Wort- und Bildwahl nicht bewusst. Zweifellos herrscht hier große Ratlosigkeit. Es bliebe aber rätselhaft, warum dann Berlusconis Äußerung als rassistisch erkannt wird. Es ist - entgegen einem landläufigen Vorurteil ("Man weiß ja gar nicht mehr, was man noch sagen darf") - nämlich nicht so, dass es das Wissen über nicht-diffamierende Bezeichnungen nicht gibt: Das alles ist vielfach erklärt und beschrieben worden, und wer sich als weißer Deutscher darüber informieren möchte, was rassistische Sprechweisen sind, der findet Bücher und Internetseiten (derbraunemob.de). Das Wissen ist da, es will nur häufig nicht gewusst werden. Über diese merkwürdige Ignoranz muss geredet werden, wenn wir über einen (verbalen) Rassismus in Deutschland sprechen, von dem ein großer Teil der gesellschaftlichen Mitte in Deutschland nicht lassen will.

Exemplarisch dafür steht eine Ausgabe der monothematischen Vierteljahreszeitschrift Dummy, die mit dem Slogan "Jedesmal neu. Jedesmal anders" für sich wirbt und sich an eine weltgewandte und lifestylebewusste Leserschaft wendet. Dummy verkündete im Sommer, sein nächstes Heft "Neger" zu nennen. Es gab Proteste und das Heft erschien im September vor Obamas Wahl unter dem Titel "Schwarze", ohne aber verstanden zu haben, wogegen der Protest sich richtete. Im Editorial wurde bemerkenswert offenherzig eingestanden, dass die ursprüngliche Titelwahl sich nicht schlechterem Unwissen verdankt hätte: "Wir wollen mal nicht so tun, als hätten wir es nicht kommen sehen." Warum dann aber der diffamierende Titel? Das Editorial: "Wir wollten das Heft gerade deshalb so nennen, um gleich mit der Diskussion über inkriminierte Bezeichnungen und deren Ersatzwort-Ungetüme loszulegen. Um Lust zu machen auf eine anregende Debatte fern beschränkter Political Correctness, eingedenk des ideologischen Ballasts eines Wortes, das sich im Zuge des Kolonialismus verbreitete, zum zentralen Terminus pseudowissenschaftlicher Rassentheorien aufstieg und bis heute unter Nazis und anderen Dumpfbacken schwer angesagt ist."

Diese Erklärung wirkt wenig überzeugend, wenn man sich das Heft anschaut, bei dem zwar der Titel ausgetauscht wurde, das die Diskussion, mit der gleich losgelegt werden sollte, aber überhaupt nicht führt. Dummy - Schwarze bietet einen bunten Mix aus allen Klischees, die einem zu "Schwarzen" eben so einfallen: dass Afrika die Wiege der Menschheit ist, wie es Eltern mit schwarzen Kindern ergeht, der Sarotti-Mohr, Roberto Blanco, die besten "Ficksoul"-Nummern, Obama, "eine Huldigung scharfer Frauen", usw.

Daran zeigt sich das Elend des deutschen Rassismus-Diskurses. Zwar hat es keinen Mangel an aufklärerischem Furor ("anregende Debatte"). Zugleich werden aber rassistische Stereotypen unreflektiert reproduziert. Man ist sich einerseits des Inkriminierten an der Bezeichnung "Neger" irgendwie bewusst, will andererseits aber doch alles unter diesen Begriff subsumieren, was irgendwie mit "Schwarzen" zu tun hat ("Ficksoul"). Was in den USA im gleichen Milieu undenkbar wäre, geht im weißen deutschen Schreiben zusammen: Der Artikel über den Rassismus in Ostdeutschland, der mit dem Schwarzen sympathisiert, den er portraitiert, bezeichnet dessen Tochter schließlich als "farbig".

Auf diese Weise wird Dummy - und darin ist die relativ unbedeutende Zeitschrift beispielhaft für Zeitungsartikel und Fernsehtalks - selbst zu dem Problem, über das es angeblich eine Diskussion führen will: Die Grauzone, in der der deutsche Rassismus-Diskurs gefangen ist, wird permanent neu eingerichtet. Man kann das Wort "Neger" (wie alle anderen rassistischen Termini) schon deshalb nicht - wie ein in dem Zusammenhang häufig geäußertes Bedürfnis heißt - "unverkrampft" oder eben ironisch meinen, weil seine eigentliche Bedeutung von einem nicht geringen Teil der weißen deutschen Bevölkerung überhaupt nicht begriffen ist (was die Absurdität noch steigert, denn dass das Wort beleidigend ist, kann in Gerichtsurteilen nachgelesen werden). Woher soll ein Schwarzer wissen, dass zwar der Nazi, der unbeschwert "Neger" sagt, ein Rassist ist, die Dummy-Herausgeber, die ihr Heft so nennen wollen, aber nicht?

Einem Schwarzen kann es egal sein, wer ihn "farbig" nennt - beleidigt wird er jedem Fall. Das diffuse deutsche Rassismusbewusstsein macht es sich derweil in seiner vagen Selbstsicherheit bequem, indem es einfach die Regeln im Sprachverkehr ändert: Nicht die Äußerung bestimmt über das Denken, sondern der, der sie tut. So kann man einerseits den ostdeutschen Nazi und auch Berlusconi durchschauen, weil auf die naturgemäß keiner etwas hält. Und so können andererseits die Dummy-Macher keine Rassisten sein, weil sie sich selbst als "links" bezeichnen und "weil wir uns zu sicher waren, dass DUMMY völlig unverdächtig ist, rassistisch oder rechts zu sein", wie es auf der Website des Magazins heißt. Worauf aber gründet sich diese Gewissheit, wenn zugleich von "Farbigen" geredet wird? Und woran erkennt man, wenn nicht an Äußerungen, dann rassistisches Denken - an Bomberjacke und Springerstiefeln? Oder am weißen Kapuzengewand? Und ist es nicht ungerecht, dass man in der weißen Mitte zwar unverkrampft "Neger" sagen und Kannibalen-Witze machen will, zugleich aber beleidigt reagiert, wenn - um gleich mit der Diskussion über inkriminierte Bezeichnungen und deren Ersatzwort-Ungetüme loszulegen - daraufhin, ganz unverkrampft, Rassist geantwortet wird?

Denn das ist eine Erfahrung, die jeder machen kann, der solche Diskussionen führt: Man kann sie schwer führen. Die gesellschaftliche Mitte, die sich zu sicher ist, des Rassismus unverdächtig zu sein, erkennt an jedem Zweifel daran "Political Correctness" und schottet sich so gegen alle Selbstreflektion ab. Die deutsche Allergie gegen "PC" reicht von ganz rechts bis ganz links, was zeigt, wie diffus auch hier die Vorstellungen sind, die sich mit dem Begriff verbinden, dessen Ablehnung zumeist nur ungeniert den Blick durch die je eigenen Scheuklappen öffnen soll. (Wer sich ein Bild davon machen will, wie offen und frei fern beschränkter "Political Correctness" gedacht werden kann, schaue sich die vom Verfassungsschutz beobachtete Seite von Politically Incorrect an.)

Dabei ist "Political Correctness" im Grunde ein emanzipatorisches Projekt. Es geht nicht um schlichte Schablonen, sondern um kommunikative Regeln, die auch den Weg aus dem (verbalen) Sumpf einer beschämenden Kolonialgeschichte weisen. "Political Correctness" ist eine Einladung zum Nachdenken, die absurderweise von Leuten abgelehnt wird, die sich in ganzen Artikeln allein über "Das Prinzip Boris Becker" unzählige Gedanken machen können, wie unlängst im SZ-Magazin, dabei aber nicht einen einzigen daran verschwenden, ob "cappuccinofarben" nicht ein ekliges Verständnis von Poesie offenbart, um andere Menschen zu beschreiben. Und wenn man sich schon von der "Political Correctness" nichts vorsagen lassen will, um die eigene Denkfreiheit nicht zu gefährden: Wieso reicht es nicht aus, wenn Ron Williams (oder wer auch immer) einem sagt, dass Schwarze nicht als "Neger", nicht als "farbig" und auch nicht als "cappuccinofarben" bezeichnet werden wollen, um den eigenen Sprachgebrauch zu überprüfen?

Rassismus ist ein Thema, das medial ignoriert wird. Angehen können wir weißen Deutschen es nur, indem wir einmal nicht Gerald Asamoah fragen, wie das so ist mit den Urwaldgeräuschen im Stadion oder indem wir einmal nicht in ostdeutschen Plattenbausiedlungen nach Nazis suchen, sondern indem wir weißen Deutschen endlich einmal anfangen, über uns selbst nachzudenken.


  • Leichte Titeländerung von Bois-Caiman-Redaktion